Studie: Forschern gelingt Umkehr des altersbedingten Rückgang des Gedächtnisses mit experimentellen Wirkstoff ISRIB

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Torsten Lorenz, aktualisiert am 20. Mai 2022, Lesezeit: 8 Minuten

Einer neuen Studie von Wissenschaftlern der University of California, San Francisco, zufolge können schon wenige Dosen eines experimentellen Medikaments den altersbedingten Rückgang des Gedächtnisses und der geistigen Flexibilität bei Mäusen umkehren.

ISRIB: Wiederherstellung der kognitiven Fähigkeiten

Der Wirkstoff mit der Bezeichnung ISRIB hat in Laborstudien bereits gezeigt, dass er die Gedächtnisfunktion Monate nach einer traumatischen Hirnverletzung wiederherstellen, kognitive Beeinträchtigungen beim Down-Syndrom rückgängig machen, lärmbedingten Hörverlust verhindern, einige Formen von Prostatakrebs bekämpfen und sogar die Wahrnehmung bei gesunden Tieren verbessern kann.

In dieser neuen wissenschaftlichen Forschungsarbeit, die in der Fachzeitschrift eLife veröffentlicht wurde, konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der University of California, San Francisco, eine sehr schnelle Wiederherstellung der jugendlichen kognitiven Fähigkeiten bei gealterten Mäusen nachweisen, begleitet von einer Verjüngung der Gehirn– und Immunzellen, die dazu beitragen könnte, die Verbesserungen der Gehirnfunktion zu erklären.

Nach Ansicht von Dr. Susanna Rosi, Professorin in den Abteilungen für Neurologische Chirurgie und für Physiotherapie und Rehabilitationswissenschaften, zeigt die außerordentlich schnelle Wirkung dieses Wirkstoffs erstmals, dass ein wesentlicher Teil der altersbedingten kognitiven Verluste durch eine Art reversibler physiologischer „Blockade“ und nicht durch einen dauerhaften Abbau verursacht wird, erklärte

Die Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass das gealterte Gehirn seine grundlegenden kognitiven Fähigkeiten nicht dauerhaft verloren hat, wie gemeinhin angenommen wurde, sondern dass diese kognitiven Kapazitäten zwar noch vorhanden sind, aber irgendwie blockiert wurden und in einem Kreislauf von zellulärem Stress eingeschlossen sind, so Dr. Peter Walter, Professor an der UCSF-Abteilung für Biochemie und Biophysik.

Die Arbeit mit dem experimentellen Wirkstoff ISRIB zeigt einen Weg auf, diesen Kreislauf zu durchbrechen und kognitive Fähigkeiten wiederherzustellen, die im Laufe der Zeit verloren gehen.

ISRIB verbessert die kognitiven Funktionen

Im Rahmen der neuen Studie trainierten Forscherinnen und Forscher ältere Tiere darauf, aus einem Wasserlabyrinth zu gelangen, indem sie eine versteckte Plattform fanden – eine Aufgabe, die ältere Tiere normalerweise nur schwer erlernen können. 

Allerdings konnten die Tiere, die während des dreitägigen Trainings täglich eine geringe Dosis des Wirkstoffs ISRIB erhielten, die Aufgabe genauso gut bewältigen wie junge Mäuse, und deutlich besser als Tiere desselben Alters, die das Medikament nicht erhielten.

Anschließend testeten die Forscher, wie lange diese kognitive Verjüngung anhielt und ob sie auch auf andere kognitive Fähigkeiten übertragbar war. 

Nach mehreren Wochen der ersten Behandlung mit den Wirkstoff ISRIB trainierten die Forscher dieselben Mäuse darauf, den Weg aus einem Labyrinth zu finden, dessen Ausgang sich täglich änderte – ein Test für die geistige Flexibilität älterer Mäuse, die wie Menschen dazu neigen, zunehmend in ihren Gewohnheiten stecken zu bleiben. 

Die Mäuse, die drei Wochen zuvor eine kurzzeitige ISRIB-Behandlung erhalten hatten, zeigten immer noch jugendliche Leistungen, während die unbehandelten Mäuse weiterhin Schwierigkeiten hatten.

Um herauszufinden, wie der experimentelle Wirkstoff ISRIB die Hirnfunktion verbessern könnte, untersuchten die Forscher die Aktivität und Anatomie von Gehirnzellen im sogenannten Hippocampus, einer Hirnregion, die eine Schlüsselrolle beim Lernen und Erinnern spielt, und zwar nur einen Tag, nachdem die Tiere eine einmalige Dosis ISRIB erhalten hatten. 

Es zeigte sich, dass die üblichen Anzeichen der neuronalen Alterung buchstäblich über Nacht verschwanden: Die Nervenaktivitäten wurden lebhafter und reagierten besser auf Stimulationen, und die Zellen wiesen eine robustere Konnektivität mit den Zellen in ihrer Umgebung auf, während sie gleichzeitig eine Fähigkeit zur Bildung stabiler Verbindungen untereinander zeigten, die normalerweise nur bei jüngeren Mäusen zu beobachten ist.

ISRIB: Auswirkungen auf neurologische Erkrankungen

Es hat sich herausgestellt, dass eine chronische ISR-Aktivierung (ISR = integrierte Stressreaktion) und die daraus resultierende Blockierung der zellulären Proteinproduktion bei einer überraschend breiten Palette von neurologischen Erkrankungen eine Rolle spielen kann, wie zum Beispiel:

Man könnte meinen, dass ein Eingriff in die integrierte Stressreaktion (ISR), einen kritischen zellulären Sicherheitsmechanismus, mit Sicherheit schwerwiegende Nebenwirkungen haben würde, aber bisher haben die Forscher in all ihren Studien keine beobachtet. 

Dies ist den Forschern zufolge wahrscheinlich auf zwei Faktoren zurückzuführen. Erstens sind nur wenige Dosen des experimentellen Wirkstoffs ISRIB erforderlich, um eine ungesunde, chronische ISR-Aktivierung wieder in einen gesünderen Zustand zu versetzen, nach dem sie weiterhin normal auf Probleme in einzelnen Zellen reagieren kann. 

Zweitens hat ISRIB praktisch keine Wirkung, wenn es auf Zellen angewendet wird, die die integrierte Stressreaktion (ISR) in ihrer stärksten Form aktiv einsetzen – zum Beispiel gegen eine aggressive Virusinfektion.

Beides macht das Molekül natürlich sehr viel unwahrscheinlicher für negative Nebenwirkungen – und attraktiver als potenzielles Therapeutikum.

Rolle der integrierten Stressreaktion (ISR)

Die integrierte Stressreaktion (ISR) erkennt normalerweise Probleme mit der Proteinproduktion in einer Zelle – ein mögliches Anzeichen für eine Virusinfektion oder krebsfördernde Genmutationen – und reagiert darauf, indem sie die Proteinsynthesemaschinerie der Zelle bremst. 

Dieser Schutzmechanismus ist wichtig, um verhaltensauffällige Zellen auszusortieren, aber wenn er in einem Gewebe wie dem Gehirn nicht mehr funktioniert, kann er zu ernsten Problemen führen, da die Zellen ihre normalen Aktivitäten nicht mehr ausführen können, wie Walter und Kollegen herausgefunden haben.

Protein-„Stau“ in Neuronen steht in Zusammenhang mit Neurodegeneration

Neurodegenerative Erkrankungen wie die Alzheimer– und Parkinson-Krankheit werden mit atypischen Proteinen in Verbindung gebracht, die im Gehirn Tangles bilden und Neuronen abtöten.

Neurobiologinnen und Neurobiologen der Ecole Polytechnique Federale de Lausanne in der Schweiz haben nun einige Schlüsselmechanismen identifiziert, die der Bildung dieser Verknotungen zugrunde liegen.

Gleichzeitig gelang es den Wissenschaftlern, die Verletzlichkeit der Zellen zu einem frühen Zeitpunkt der Neurodegeneration zu untersuchen, wenn die Neuronen voneinander getrennt werden. Die Forschungsergebnisse könnten dazu beitragen, neue Therapien für neurodegenerative Erkrankungen Parkinson oder Alzheimer zu entwickeln.

Indem man die früheste Trennung der Neuronen stoppt oder verlangsamt, können laut Brian McCabe, Direktor des Laboratory of Neural Genetics and Disease und Professor an der EPFL School of Life Sciences, vielleicht auch die nachfolgenden Schritte der Degeneration der Neuronen verlangsamt werden.

Die Wissenschaftler des Teams von McCabe haben erwachsene Drosophila (Fruchtfliege) so verändert, dass sie menschliches Tau exprimieren, ein Protein, das an der Alzheimer-Krankheit und anderen Demenzerkrankungen beteiligt ist.

Es stellte sich heraus, dass Fliegen, die menschliches Tau exprimieren, eine kürzere Lebenserwartung haben als die Kontrollgruppe. Um die Folgen von menschlichem Tau für das Gehirn zu untersuchen, setzte das Team eine Reihe von genetischen, mikroskopischen und computergestützten Technologien ein, die eine genaue Abbildung einzelner Neuronen ermöglichten.

Die Studie ist den Forschern zufolge eine der ersten ihrer Art, die die Neurodegeneration auf der Ebene einzelner Neuronen im Kontext eines erwachsenen Gehirns untersucht.

Verglichen mit Kontrolltieren zeigten Fliegen, die menschliches Tau exprimieren, einen erheblichen Verlust an Synapsen, also an Verbindungen zwischen Neuronen.

Bei diesen Versuchstieren schrumpften auch die Axone der Neuronen – die langen, dünnen Teile der Zelle, die elektrische Impulse leiten – und zogen sich zurück.

Sobald das Axon zurückgezogen war, waren die Neuronen nicht mehr Teil eines funktionierenden Schaltkreises, so McCabe. In diesen sehr frühen Stadien ist ein Eingreifen erforderlich, denn sobald die Neuronen absterben, ist die Schlacht bereits verloren.

In weiteren Versuchen zeigte sich, dass der Verlust eines Proteinkomplexes namens Retromer, der bei Menschen mit Parkinson mutiert sein kann, die Neurodegeneration beschleunigt.

Das Retromer wirkt in der Zelle wie ein Recyclingsystem, das Proteine vor dem Abbau rettet und sie zurück an die Zelloberfläche transportiert. Die Forscher fanden heraus, dass die Blockierung der Aktivität des Retromer-Komplexes zu einer erhöhten Konzentration einer verkürzten Form von Tau führt, die die Neurotoxizität verschlimmert.

Die Wissenschaftler an der Ecole Polytechnique Federale de Lausanne stellten die Hypothese auf, dass die Tau-Proteine bei reduzierter Retromer-Aktivität länger in der Zelle verbleiben, wo sie von speziellen Enzymen, den Caspasen, „abgeschnitten“ werden. Wenn man die Produktion der verkürzten Form von Tau hemmt, könnte man den Verlust von Synapsen und Axonen aufhalten.

Verringerung der Neurotoxizität

Die Forschungsergebnisse, die in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurden, legen nahe, dass die Drosselung der Retromer-Aktivität den Transport von Tau verlangsamt.

Durch diesen „Stau“ können nach Aussage von McCabe die Caspasen das Tau in die kürzere Form zerschneiden, die die Neuronen schädigen kann. Die Identifizierung von Medikamenten, die den Transport von Tau verbessern, könnte helfen, die Neurotoxizität zu verringern.

Sollte die verkürzte Form von Tau ein diagnostischer Marker für Gehirne sein, die von Alzheimer und Parkinson betroffen sind, könnte die Menge dieses atypischen Proteins beim Wirkstoffscreening als Indikator für die Wirksamkeit von Medikamenten verwendet werden.

Quellen

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