Forschung: Obst und Gemüse auf Rezept statt Medikamente bei ernährungsbedingten Krankheiten

Diabetes-Forschung 2024, Ernährung und Gesundheit

Torsten Lorenz, aktualisiert am 22. Januar 2023, Lesezeit: 9 Minuten

Ernährungsforschung: Gesundes Essen als Medizin. Wenn Ärzte frisches Obst und Gemüse verschreiben, könnte dies ein wirksames Mittel sein, um die Gesundheit von Menschen mit Diabetes Typ 2 und hohem Blutzucker zu verbessern. 

Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie, die in den wissenschaftlichen Fachblatt Journal of Nutrition veröffentlicht wurde.

Ernährungsbedingte Krankheiten vorbeugen

Forscherinnen und Forscher des George Institute for Global Health und der UNSW Sydney fanden heraus, dass Menschen mit Diabetes Typ 2 und hohem Blutzucker, die 12 Wochen lang an einem Programm zur ärztlichen Anordnung von Obst und Gemüse teilnahmen, täglich fast zwei zusätzliche Portionen Obst und Gemüse aßen. 

Gleichzeitig verloren sie 1,7 kg Gewicht und ihr LDL-Cholesterin-Wert (Low-Density-Lipoprotein oder das „schlechte Cholesterin“, das Herzkrankheiten verursacht) sank um 10 Prozent.

Laut Jason Wu, Leiter der Ernährungswissenschaft am George Institute und Professor an der School of Population Health der UNSW Medicine & Health, ist dies die erste bedeutende Studie in Australien, die das Potenzial von „Essen als Medizin“ aufzeigt und Ärzten und Patienten hilft, ernährungsbedingte Krankheiten besser zu behandeln.

Es ist allgemein bekannt, dass eine nährstoffreiche Ernährung der Schlüssel zur Erhaltung der Gesundheit ist. 

Trotzdem isst nur jeder zwanzigste Australier genug Obst und Gemüse, und für viele ist es schwierig, an gesunde Lebensmittel zu gelangen, insbesondere für Menschen aus den am stärksten benachteiligten Gegenden, so der Wissenschaftler.

Zur Erprobung des Rezeptes für die Gesundheitsversorgung in Australien arbeiteten die Forscherinnen und Forscher mit Fachärzten des Royal Prince Alfred Hospital in Sydney zusammen, um 50 Menschen mit Diabetes Typ 2 zu rekrutieren, die unter Ernährungsunsicherheit zu leiden hatten. 

Von Ernährungsunsicherheit spricht man, wenn Menschen keinen Zugang zu einer ausreichenden Versorgung mit gesunden Lebensmitteln haben.

Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhielten eine von Ernährungsexperten entworfene Box mit gesunden Lebensmitteln, dazu Rezeptideen und die Möglichkeit, vierzehntägig einen Ernährungsberater aufzusuchen.

Nach den zwölf Wochen hatten sich die Ernährung, die Cholesterinwerte und das Körpergewicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer deutlich verbessert. 

Die Mehrheit (96 Prozent) der Teilnehmenden gab an, dass das Programm hilfreich oder sehr hilfreich war, um ihre Ernährung und die ihrer Familie zu verbessern, und dass sie bereit wären, für die Fortsetzung des Programms zu bezahlen.

Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit zeigen, dass die Verschreibung gesunder Lebensmittel nicht nur vielversprechend ist, um die Ernährung und Gesundheit von Menschen mit Diabetes Typ 2 zu verbessern, sondern dass sie auch sehr erfolgreich ist. 

Als nächstes wollen die Wissenschaftler das Programm ausweiten und in größeren Studien auswerten, um seine gesundheitlichen Vorteile zu bestätigen.

Zunehmend wird erkannt, dass die Gesundheitssysteme mehr tun müssen, um ernährungsbedingten Krankheiten vorzubeugen und sie zu behandeln, und dass das derzeitige Modell, sich hauptsächlich auf Medikamente zur Behandlung solcher Krankheiten zu verlassen, nicht ausreicht. 

In den Vereinigten Staaten werden Programme für gesunde Ernährung und Mahlzeiten auf Rezept bereits in die Gesundheitsversorgung integriert. 

Diese Programme, die von der Regierung und den Gesundheitsdienstleistern bezahlt werden, bringen vielversprechende gesundheitliche Vorteile und senken sogar die Gesamtkosten im Gesundheitswesen.

Könnten Rezepte für Obst und Gemüse anstelle von Medikamenten ernährungsbedingte Krankheiten verhindern?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des George Institute for Global Health und der Friedman School of Nutrition Science & Policy an der Tufts University untersuchten 13 Programme zur Verschreibung gesunder Lebensmittel, bei denen gesunde Lebensmittel wie Obst und Gemüse entweder subventioniert oder direkt als eine Form der medizinischen Behandlung angeboten wurden. 

Die Ergebnisse zeigten, dass die Menschen nicht nur mehr von diesen Lebensmitteln aßen, sondern dass sich auch ihr Gewicht und ihr Blutzuckerspiegel verbesserten. 

Für Dr. Jason Wu, Programmleiter für Ernährungswissenschaften am George-Institut, könnten Rezepte für gesunde Lebensmittel vor allem für Menschen mit eingeschränktem Zugang zu solchen Lebensmitteln und für Menschen mit bestimmten Erkrankungen von Vorteil sein.

Die Programme haben sich insgesamt positiv auf die Gesundheit der Patienten ausgewirkt, auch wenn die Art und Weise, wie die gesünderen Lebensmittel angeboten und die Ergebnisse gemessen wurden, sehr unterschiedlich war, so der Wissenschaftler.

Die Auswirkungen gesunder Lebensmittel auf den Blutzuckerspiegel waren vergleichbar mit denen, die man von einigen häufig verschriebenen blutzuckersenkenden Medikamenten erwarten würde – dies unterstreicht die zunehmende Erkenntnis, dass Lebensmittel auch Medizin sein können.

Eine ungesunde Ernährung ist einer der Hauptrisikofaktoren für chronische Krankheiten und wird für jeden fünften vorzeitigen Tod auf der Welt verantwortlich gemacht. 

Auch ernährungsbedingte Krankheiten wie zum Beispiel Adipositas, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind auf dem Vormarsch und stellen eine zunehmende Belastung für das Gesundheitswesen dar. 

Dr. Saiuj Bhat, ein klinischer Forscher, der an der Untersuchung beteiligt war, erklärte, dass Ernährungsunsicherheit – definiert als mangelnder Zugang zu ernährungsphysiologisch angemessenen Lebensmitteln – zu schlechter Ernährung und einem höheren Risiko für kardiometabolische Krankheiten führt.

Betroffene sind weniger in der Lage, chronische Krankheiten zu bewältigen, da sie psychisch und finanziell stark belastet sind, etwa durch hohe Medikamentenkosten und andere gesundheitsbezogene Ausgaben, so der Forscher.

Knapp die Hälfte der Männer und Frauen, die an den untersuchten Programmen teilnahmen, litten unter Ernährungsunsicherheit, und drei Viertel hatten bereits bestimmte Krankheiten wie Übergewicht oder Fettleibigkeit, Bluthochdruck oder Diabetes Typ 2.

Das Hauptaugenmerk der meisten Rezepte für gesunde Ernährung lag bislang auf Obst und Gemüse. Andere gesunde Lebensmittel wie Nüsse, Bohnen, Vollkornprodukte und Fisch sind ebenfalls wichtig für die Herzgesundheit, aber die Wirkung der Verschreibung dieser Lebensmittel wurde noch nicht untersucht.

Gesunde Lebensmittel auf Rezept in Nord-Pasadena, Texas

Eine einfache Lösung gegen Ernährungsunsicherheit könnte darin bestehen, dass man vom Arzt oder von der Ärztin ein Rezept für gesundes Essen bekommt und die Möglichkeit hat, es sich zu besorgen.

Der Schwerpunkt einer zweijährigen Studie lag auf Nord-Pasadena, Texas, wo die Ernährungsunsicherheit mit am höchsten in Harris County ist, erklärt die Hauptautorin der Studie Dr. Shreela V. Sharma, Professorin für Epidemiologie, Humangenetik und Umweltwissenschaften an der UTHealth School of Public Health.

Viele Gesundheitseinrichtungen untersuchen ihre Patientinnen und Patienten inzwischen auf Ernährungssicherheit, so die Wissenschaftler. Aber es gibt zahlreiche Herausforderungen. Was kann man tun, wenn man herausfindet, dass sie sich nicht ausreichend mit gesundem Obst und Gemüse versorgen können?

Um diese Frage zu beantworten, erhielten die teilnehmenden Patientinnen und Patienten, die in ihren Kliniken als ernährungsunsicher eingestuft wurden, von ihren Ärzten eine „Lebensmittelkarte“, mit der sie alle zwei Wochen zu einer bestimmten Lebensmittelausgabe in Nord-Pasadena gehen konnten. 

Dort erhielten sie bis zu 15 Kilogramm Obst und Gemüse sowie vier Sorten nicht verderblicher Lebensmittel wie mageres Eiweiß, Bohnen und Vollkornprodukte. Die Lebensmittelausgabe sah aus wie ein kleiner Lebensmittelladen, um das Image der Lebensmittelausgabe zu verbessern.

Die teilnehmenden Personen erhielten auch Ernährungsinformationen, darunter Bücher auf Englisch und Spanisch, in denen es um allgemeine Ernährung, Lebensmittellagerung und -sicherheit sowie gesunde Rezepte ging.

Von den 242 teilnehmenden Patientinnen und Patienten lösten 172 (71 Prozent) mindestens einmal das Lebensmittelrezept in der Lebensmittelausgabe ein. Von denjenigen, die ihr Rezept einlösten, gaben 99 Prozent an, das gesamte oder einen Großteil des Obsts und Gemüses zu verzehren. Für mehr als 94 Prozent haben die Lebensmittel zu einer gesünderen Ernährung beigetragen.

Laut Sharma ist der größte Erfolg, dass die Lebensmittelausgabe auch heute noch funktioniert. Ernährungsunsicherheit ist auf mangelnden Zugang zu Lebensmitteln zurückzuführen. 

Die Lösung besteht darin, den Menschen Zugang zu gesunden Lebensmitteln zu verschaffen und sie im Umgang mit den Lebensmitteln zu schulen.

Derartige Investitionen sollten langfristig angelegt sein und einen kontinuierlichen Zugang zu gesunden Lebensmitteln und Ernährungserziehung ermöglichen, so die Wissenschaftler.

Die vorliegende Studie wurde von der nationalen BUILD Health Challenge über die Harris County BUILD Partnership finanziert, die darauf abzielt, nachhaltige öffentliche Quellen für zugängliche gesunde Lebensmittel in Nord-Pasadena zu schaffen, ein größeres Netzwerk innovativer Lebensmittellieferanten und -verteiler aufzubauen und eine gesunde Ernährung durch das Lebensmittelverschreibungsprogramm zu fördern. Die Studienteilnehmer wurden in zwei Schulkliniken und einem staatlich anerkannten Gesundheitszentrum rekrutiert.

Die Studienergebnisse wurden in der Zeitschrift Translational Behavioral Medicine veröffentlicht.

Basis einer gesunden Ernährung

Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) braucht der menschliche Organismus jeden Tag eine abwechslungsreiche Vielfalt an Lebensmitteln, um gesund zu bleiben. 

Eine abwechslungsreiche Ernährung sollte daher möglichst viele pflanzliche Produkte wie Getreide, Getreideprodukte, insbesondere Vollkornprodukte, und Kartoffeln enthalten.

Auch Obst und Gemüse sowie Milch und Milchprodukte gehören laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) idealerweise auf den täglichen Speiseplan. 

Sie enthalten viele wichtige Vitamine und Mineralstoffe. Obst und Gemüse enthält zudem Ballaststoffe und wichtige sekundäre Pflanzenstoffe, die sich positiv auf den Stoffwechsel und die Gesundheit den Menschen auswirken können. Milchprodukte liefern dem menschlichen Körper Proteine, aber auch Mineralstoffe – zum Beispiel Kalzium, das für den Knochenaufbau wichtig ist.

Quellen

  • Imperial College London
  • George Institute for Global Health
  • University of Texas Health Science Center at Houston
  • Jason H Y Wu et al, Testing the Feasibility and Dietary Impact of a „Produce Prescription“ Program for Adults with Undermanaged Type 2 Diabetes and Food Insecurity in Australia, The Journal of Nutrition (2022). DOI: 10.1093/jn/nxac152
  • Saiuj Bhat et al. Healthy Food Prescription Programs and their Impact on Dietary Behavior and Cardiometabolic Risk Factors: A Systematic Review and Meta-Analysis, Advances in Nutrition (2021). DOI: 10.1093/advances/nmab039

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Werden Typ-2-Diabetes-Patientinnen und Patienten falsch behandelt?


Quelle: ZS Verlag

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