Medizin Doc Redaktion, aktualisiert am 10. Mai 2024, Lesezeit: 9 Minuten

In den letzten Jahren hat das Interesse am Verständnis der Rolle des Immunsystems bei verschiedenen Krankheiten und Zuständen zugenommen. Ein Bereich von besonderem Interesse ist die bei Schlaganfall– und Herzinfarkt-Patienten beobachtete Fehlfunktion des Immunsystems. Diese Menschen leiden nicht nur unter den unmittelbaren Folgen dieser kardiovaskulären Ereignisse, sondern haben auch Störungen des Immunsystems, die sie anfällig für lebensbedrohliche bakterielle Infektionen machen. Bislang waren die dieser Immunstörung zugrunde liegenden Mechanismen noch weitgehend unbekannt. Eine aktuelle Studie, die von Forscherteams der Medizinischen Fakultät des Universitätsklinikums der UDE und des Leibniz-Instituts für Analytische Wissenschaften in Dortmund durchgeführt wurde, hat jedoch Licht in dieses bisher unerforschte Forschungsgebiet gebracht.

Die Studie

Unter der Leitung von Prof. Matthias Gunzer, Direktor des Instituts für Experimentelle Immunologie und Bildgebung (IEIB) an der UDE, und Dr. Vikramjeet Singh, Leiter der Stroke Immunology Unit am IEIB, wollten die Forscherteams den Mechanismus der Immundysfunktion bei Schlaganfall- und Herzinfarktpatienten aufdecken. An der Studie waren sowohl menschliche Patienten als auch Mausmodelle beteiligt, um ein umfassendes Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse zu erlangen.

Verminderte Werte von IgA-Antikörpern

Eines der wichtigsten Ergebnisse der Studie war der deutliche Rückgang der IgA-Antikörper bei Patienten ein bis drei Tage nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt. IgA-Antikörper spielen eine entscheidende Rolle bei der Abwehr von Infektionen, weshalb dieser Rückgang Anlass zur Sorge gibt. Die Forscher entdeckten, dass diese Antikörper, die von spezialisierten Plasmazellen produziert werden, sowohl bei menschlichen Patienten als auch bei Mäusen drastisch reduziert waren.

Neutrophile extrazelluläre Fallen (NETs)

Um den Mechanismus hinter dem Verlust der Antikörper zu entschlüsseln und mögliche Behandlungsmöglichkeiten zu erforschen, richteten die Forscher ihre Aufmerksamkeit auf neutrophile extrazelluläre Fallen (NETs). Diese spezialisierten DNA-Fasern werden von stark aktivierten Neutrophilen nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt ins Blut abgegeben. Die Studie ergab, dass NETs nicht nur zum Verlust der Immunabwehr beitragen, sondern auch eine Rolle bei der Bildung von kleinen Gerinnseln in Blutgefäßen spielen, die die Plasmazellen im Darm mit Energie versorgen. Dieser Mangel an Nährstoff- und Sauerstoffversorgung führt zum Absterben der IgA-bildenden Zellen.

Die Forscher haben nicht nur einen kausalen Zusammenhang zwischen Schlaganfall, Herzinfarkt und Immunschwäche nachgewiesen, sondern auch einen möglichen Behandlungsansatz identifiziert. Indem sie die NETs mit dem Enzym DNase zerstörten oder ihre Freisetzung mit einer Substanz mit neuartiger Wirkungsweise verhinderten, blieb die Immunabwehr intakt. Diese Ergebnisse wurden sowohl im Mausmodell als auch in späteren klinischen Studien mit DNase nachgewiesen.

Implikationen und zukünftige Wege

Die Entdeckung des Mechanismus der Immunstörung bei Schlaganfall- und Herzinfarktpatienten eröffnet neue Möglichkeiten für therapeutische Eingriffe. Bislang war die Ursache der Immunschwäche bei diesen Patienten unklar, was die Entwicklung wirksamer Behandlungen behinderte. Die Identifizierung von NETs als mitwirkender Faktor und der Erfolg von DNase bei der Aufrechterhaltung der Immunabwehr bieten jedoch vielversprechende Wege für weitere Forschung und klinische Anwendungen.

Vorbeugung von Sekundärinfektionen und Sterblichkeit

Eine der wichtigsten Implikationen dieser Studie ist das Potenzial, schwere sekundäre Infektionskrankheiten oder sogar den Tod von Schlaganfall- und Herzinfarktpatienten zu verhindern. Durch die gezielte Neutralisierung von NETs könnte das medizinische Personal in der Lage sein, das Risiko lebensbedrohlicher bakterieller Infektionen zu vermindern. Dies könnte die Prognose und Lebensqualität dieser Patienten erheblich verbessern.

Neue Behandlungsansätze

Die Ergebnisse der Studie ebnen auch den Weg für die Entwicklung neuer Behandlungsansätze. Die Zerstörung von NETs oder die Verhinderung ihrer Bildung könnte eine vielversprechende Strategie zur Aufrechterhaltung der Immunabwehr bei Patienten nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt sein. Weitere Forschung ist erforderlich, um diese Behandlungsmethoden zu verfeinern und ihre Wirksamkeit in größeren klinischen Studien zu untersuchen.

Fazit

Der bei Schlaganfall- und Herzinfarktpatienten entdeckte Mechanismus der Immundysfunktion bietet wertvolle Einblicke in die zugrunde liegenden Prozesse, die zur Immunschwäche bei diesen Menschen beitragen. Der Rückgang der IgA-Antikörper und die Freisetzung von NETs spielen eine entscheidende Rolle bei der Beeinträchtigung der Immunabwehr und der Erhöhung des Risikos von Sekundärinfektionen. Die Studie gibt jedoch auch Hoffnung, da sie potenzielle Behandlungsansätze aufzeigt, wie z. B. die gezielte Bekämpfung von NETs mit DNase oder Substanzen mit neuartigen Wirkmechanismen. Diese Erkenntnisse haben das Potenzial, die Behandlung und Prognose von Schlaganfall- und Herzinfarktpatienten zu verändern und ihre Lebensqualität insgesamt zu verbessern. Fortgesetzte Forschung auf diesem Gebiet wird zweifellos zu weiteren Fortschritten bei therapeutischen Maßnahmen und einem besseren Verständnis der Immundysfunktion bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen.

FAQ

Was ist ein Herzinfarkt?

Ein Herzinfarkt, medizinisch auch Myokardinfarkt genannt, tritt auf, wenn ein Teil des Herzmuskels nicht ausreichend mit Blut versorgt wird. Dies geschieht meistens durch ein Blutgerinnsel, das eine der Haupt-Herzkranzarterien blockiert. Ohne schnelle Behandlung beginnt der betroffene Herzmuskel abzusterben.

Welche Symptome sind typisch für einen Herzinfarkt?

Typische Symptome eines Herzinfarkts sind starke und anhaltende Brustschmerzen, die oft in Arme, Hals, Kiefer, Rücken oder Magen ausstrahlen können. Weitere Symptome können Atemnot, Übelkeit, Erbrechen, Schweißausbrüche und ein Gefühl der Angst oder des Unwohlseins sein.

Wer ist besonders gefährdet, einen Herzinfarkt zu erleiden?

Risikofaktoren für einen Herzinfarkt schließen Rauchen, hohe Blutdruckwerte, hoher Cholesterinspiegel, Diabetes, Übergewicht, mangelnde körperliche Aktivität, ungesunde Ernährung und familiäre Vorbelastung ein. Männer sind häufiger betroffen als Frauen, und das Risiko steigt mit dem Alter.

Wie wird ein Herzinfarkt diagnostiziert?

Zur Diagnose eines Herzinfarkts werden in der Regel EKG (Elektrokardiogramm), Bluttests (zur Messung von Herzenzymen), und oft auch eine Koronarangiographie eingesetzt. Diese Untersuchungen helfen dabei, die genaue Lage und Schwere der Blockade zu bestimmen.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei einem Herzinfarkt?

Die Behandlung eines Herzinfarkts zielt darauf ab, den Blutfluss zum Herzen schnellstmöglich wiederherzustellen. Dies geschieht meist durch Medikamente, die Blutgerinnsel auflösen, oder durch eine Katheterintervention (Ballondilatation und Stent-Implantation). In manchen Fällen kann auch eine Bypass-Operation notwendig sein.

Wie kann man einem Herzinfarkt vorbeugen?

Präventive Maßnahmen umfassen die Aufrechterhaltung eines gesunden Lebensstils durch regelmäßige körperliche Aktivität, eine ausgewogene Ernährung, das Vermeiden von Rauchen und übermäßigem Alkoholkonsum, sowie die Kontrolle von Blutdruck, Cholesterin und Blutzucker.

Was sollte man im Falle eines Herzinfarkts tun?

Bei Anzeichen eines Herzinfarkts ist es entscheidend, sofort den Notarzt (112 in Deutschland) zu rufen. Wichtig ist, dass Betroffene sich nicht selbst ins Krankenhaus fahren. Bis zum Eintreffen des Notarztes sollte der Betroffene möglichst ruhig bleiben und jede körperliche Anstrengung vermeiden.

Wie ist die Prognose nach einem Herzinfarkt?

Die Prognose nach einem Herzinfarkt hängt von verschiedenen Faktoren ab, einschließlich des Ausmaßes der Herzschädigung, der Schnelligkeit der Behandlung und der allgemeinen Gesundheit des Patienten. Regelmäßige Nachsorge, Rehabilitation und Anpassungen des Lebensstils sind entscheidend für die Erholung.

Gibt es Langzeitfolgen eines Herzinfarkts?

Langzeitfolgen können Herzschwäche, Herzrhythmusstörungen, erneute Herzinfarkte und psychische Probleme wie Depressionen umfassen. Eine kontinuierliche medizinische Betreuung und Anpassungen im Lebensstil sind wichtig, um das Risiko dieser Folgen zu minimieren.

Was ist ein Schlaganfall?

Ein Schlaganfall, auch zerebrovaskulärer Unfall genannt, tritt auf, wenn die Blutversorgung zu einem Teil des Gehirns unterbrochen wird oder wenn ein Blutgefäß im Gehirn platzt. Dies führt dazu, dass die betroffenen Gehirnzellen nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden und absterben können.

Welche Symptome sind typisch für einen Schlaganfall?

Typische Symptome eines Schlaganfalls sind plötzliche Taubheit oder Schwäche, besonders auf einer Körperseite, Verwirrtheit, Schwierigkeiten beim Sprechen oder Verstehen von Sprache, Sehprobleme, Schwindel, Gleichgewichts- oder Koordinationsprobleme und ein plötzlicher, heftiger Kopfschmerz. Ein ungewöhnliches Symptom, das in seltenen Fällen auftreten kann, ist ein Niesreiz.

Wie wird ein Schlaganfall diagnostiziert?

Die Diagnose eines Schlaganfalls erfolgt in der Regel durch eine neurologische Untersuchung und bildgebende Verfahren wie Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT), die helfen, die genaue Lage und das Ausmaß der Gehirnschädigung zu bestimmen.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei einem Schlaganfall?

Die Behandlung eines Schlaganfalls hängt von der Art des Schlaganfalls ab. Bei einem ischämischen Schlaganfall, der durch ein Blutgerinnsel verursacht wird, können Medikamente zur Auflösung des Gerinnsels eingesetzt werden. Bei einem hämorrhagischen Schlaganfall, der durch eine geplatzte Ader verursacht wird, können chirurgische Eingriffe notwendig sein, um die Blutung zu kontrollieren und den Druck im Gehirn zu reduzieren.

Wie kann man einem Schlaganfall vorbeugen?

Präventive Maßnahmen umfassen die Kontrolle von Bluthochdruck, die Reduzierung von Cholesterin, eine gesunde Ernährung, regelmäßige körperliche Aktivität, das Vermeiden von Rauchen und übermäßigem Alkoholkonsum sowie die Kontrolle von Diabetes.

Welche langfristigen Auswirkungen kann ein Schlaganfall haben?

Die langfristigen Auswirkungen eines Schlaganfalls können sehr unterschiedlich sein und reichen von leichten Beeinträchtigungen bis hin zu schweren körperlichen und geistigen Behinderungen. Häufige Probleme sind Schwierigkeiten mit der Sprache, körperliche Bewegungseinschränkungen, emotionale Schwankungen und kognitive Defizite.

Wie wichtig ist die Rehabilitation nach einem Schlaganfall?

Die Rehabilitation ist entscheidend, um die bestmögliche Erholung nach einem Schlaganfall zu erreichen. Sie kann verschiedene Therapieformen umfassen, darunter Physiotherapie, Ergotherapie, Sprachtherapie und neuropsychologische Betreuung. Ziel ist es, die Selbstständigkeit des Patienten so weit wie möglich wiederherzustellen und die Lebensqualität zu verbessern.

Quellen und weiterführende Informationen

  1. Tuz, A. A., et al. (2024). Stroke and myocardial infarction induce neutrophil extracellular trap release disrupting lymphoid organ structure and immunoglobulin secretion. Nature Cardiovascular Research. doi.org/10.1038/s44161-024-00462-8.
  2. Mihalovic M, Tousek P. Myocardial Injury after Stroke. J Clin Med. 2021 Dec 21;11(1):2. doi: 10.3390/jcm11010002.

ddp


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Wichtiger Hinweis: Der Beitrag beschäftigt sich mit einem medizinischen Thema, einem Gesundheitsthema oder einem oder mehreren Krankheitsbildern. Dieser Artikel dient nicht der Selbst-Diagnose und ersetzt auch keine Diagnose durch einen Arzt oder Facharzt. Bitte lesen und beachten Sie hier auch den Hinweis zu Gesundheitsthemen!

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