Forscher können Bauchspeicheldrüsenkrebs mit KI Jahre im Voraus vorhersagen

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Torsten Lorenz, aktualisiert am 11. Mai 2023, Lesezeit: 9 Minuten

Wissenschaftlern ist es mit Hilfe künstlicher Intelligenz gelungen, Menschen mit dem höchsten Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs (Pankreaskarzinom) bis zu drei Jahre vor der eigentlichen Diagnose zu identifizieren.

Bauchspeicheldrüsenkrebs: Warum Früherkennung so wichtig ist

Bauchspeicheldrüsenkrebs ist eine der tödlichsten Krebsarten weltweit, und die Zahl der Erkrankten wird voraussichtlich weiter steigen.

  • Die Lebenserwartung ist gering, wenn der Tumor nicht operiert werden kann. Im Durchschnitt sterben die betroffenen Personen in diesem Fall drei bis vier Monate nach der Diagnose. Die relative 5-Jahres-Überlebensrate bei Pankreaskarzinom (Bauchspeicheldrüsenkrebs) liegt hierzulande bei 10 Prozent für Frauen und Männer.

Zur Zeit gibt es keine bevölkerungsweiten Instrumente für eine umfassende Früherkennung von Bauchspeicheldrüsenkrebs. Gezielte Früherkennungsuntersuchungen werden bei Personen durchgeführt, die familiär gehäuft an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkranken und bestimmte Genveränderungen aufweisen, die mit einem erhöhten Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs einhergehen.

  • Solche gezielten Untersuchungen können jedoch andere Fälle übersehen, die nicht in diese Kategorien fallen, so die Forscher.

Krebs-Screening mithilfe künstlicher Intelligenz

Eine der wichtigsten Entscheidungen, vor denen Ärzte täglich stehen, ist die Frage, bei wem ein hohes Krankheitsrisiko besteht und wer von weiteren Tests profitieren würde. Dies kann auch invasivere, teurere und risikoreichere Methoden bedeuten, sagte Chris Sander von der Harvard Medical School, einer der leitenden Forscher der Studie.

Ein KI-Tool, das in der Lage ist, die Personen mit dem höchsten Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs herauszufiltern, die am meisten von weiteren Untersuchungen profitieren würden, könnte einen großen Beitrag zur Verbesserung der klinischen Entscheidungsfindung leisten.

Ein solcher Ansatz, so Sander weiter, könnte die Erkennung von Bauchspeicheldrüsenkrebs beschleunigen, zu einer früheren Behandlung führen, die Ergebnisse verbessern und das Leben der Patienten verlängern.

Laut Professor Søren Brunak von der Universität Kopenhagen, ist die Belastung für die betroffenen Patientinnen und Patienten, ihre Angehörigen und das Gesundheitssystem insgesamt bei vielen Krebsarten unverhältnismäßig hoch, insbesondere bei solchen, die schwer zu erkennen und frühzeitig zu behandeln sind.

  • Ein KI-gestütztes Krebs-Screening bietet die Chance, den Verlauf von Bauchspeicheldrüsenkrebs zu verändern.

Diese aggressive Krankheit ist bekanntermaßen besonders schwer im Frühstadium zu diagnostizieren, wenn die Aussichten auf eine erfolgreiche Behandlung am größten sind.

Bauchspeicheldrüsenkrebsrisiko: Welche Zusammenhänge der KI-Algorithmus erkannte

  • In der vorliegenden Forschungsarbeit wurde der KI-Algorithmus mit zwei getrennten Datensätzen trainiert, die insgesamt 9 Millionen Patientendaten aus Dänemark und den USA enthielten.

Die Wissenschaftler „instruierten“ das KI-Modell, anhand der in den Datensätzen enthaltenen Informationen nach typischen Anzeichen zu suchen. Anhand von Kombinationen aus Krankheitscodes und dem Zeitpunkt des Auftretens konnte das KI-Modell vorhersagen, welche Patientinnen und Patienten in Zukunft wahrscheinlich an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkranken werden.

Auffällig war, dass viele der Symptome und Krankheitscodes nicht direkt mit der Bauchspeicheldrüse zusammenhingen oder von ihr ausgingen.

Mit verschiedenen Versionen des KI-Modells testeten die Forscherinnen und Forscher, ob Personen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko innerhalb verschiedener Zeiträume – sechs Monate, ein Jahr, zwei Jahre und drei Jahre – identifiziert werden können.

Jede Version des KI-Algorithmus war bei der Vorhersage, wer an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkranken wird, wesentlich genauer als die derzeitigen bevölkerungsweiten Schätzungen der Krankheitshäufigkeit – definiert als die Häufigkeit, mit der eine Krankheit in einer Bevölkerung über einen bestimmten Zeitraum hinweg auftritt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Krankheit auftritt, kann mit dem KI-Modell mindestens so genau vorhergesagt werden wie mit den derzeit verfügbaren genetischen Sequenzierungstests, die in der Regel nur für eine kleine Untergruppe von Patienten in Datensätzen vorliegen.

Methoden zur Früherkennung von Krebs vs. künstliche Intelligenz

Die Früherkennung (Screening) einiger häufiger Krebsarten wie Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs und Prostatakrebs beruht auf relativ einfachen und sehr effektiven Verfahren – der Mammographie, dem Pap-Abstrich oder einem Bluttest. Diese Früherkennungsmethoden haben die Ergebnisse für diese Krankheiten verändert, da sie eine Früherkennung und Behandlung in den am besten behandelbaren Stadien ermöglichen.

Bauchspeicheldrüsenkrebs hingegen ist schwieriger und teurer zu erkennen und zu testen. Ärztinnen und Ärzte achten vor allem auf die Familienanamnese und das Vorhandensein von Genmutationen, die zwar wichtige Indikatoren für ein zukünftiges Risiko sind, aber von vielen Patienten übersehen werden.

Ein besonderer Vorteil des KI-Tools besteht darin, dass es bei allen Patienten eingesetzt werden kann, für die Gesundheitsdaten und eine Krankengeschichte vorliegen, und nicht nur bei Patienten mit bekannter Familienanamnese oder genetischer Veranlagung für die Krankheit.

  • Dies ist den Forschenden zufolge besonders wichtig, da sich viele Risikopatienten ihrer genetischen Veranlagung oder familiären Vorbelastung nicht bewusst sind.

Wenn keine Symptome vorliegen und es keine eindeutigen Hinweise auf ein hohes Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs gibt, zögern Ärzte verständlicherweise oft, aufwändigere und teurere Testverfahren wie Computertomographie, Kernspintomographie oder endoskopischen Ultraschall zu empfehlen.

Wenn diese Untersuchungsmethoden eingesetzt werden und verdächtige Läsionen entdeckt werden, wird der Patient einer Biopsie unterzogen. Da das Organ tief im Bauchraum liegt, ist es schwer zugänglich und kann leicht gereizt und entzündet werden. Seine Reizbarkeit hat ihm den Spitznamen „das zornige Organ“ eingebracht.

Ein KI-Programm, das diejenigen identifiziert, die das höchste Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs haben, würde sicherstellen, dass Ärzte die richtige Gruppe von Menschen untersuchen und anderen unnötige Tests und zusätzliche Verfahren ersparen, so die Autoren der Studie.

Etwa 44 Prozent der Menschen, bei denen Bauchspeicheldrüsenkrebs im Frühstadium diagnostiziert wird, überleben fünf Jahre nach der Diagnose, aber nur 12 Prozent der Fälle werden so früh diagnostiziert.

  • Die Überlebensrate sinkt auf 2 bis 9 Prozent bei denjenigen, deren Tumor über den Ursprungsort hinausgewachsen ist, schätzen die Forscher.

Trotz deutlicher Fortschritte bei Operationsmethoden, Chemotherapie und Immuntherapie sei die Überlebensrate sehr niedrig, so Sander. Neben wirksamen Therapien bestehe daher ein deutlicher Bedarf an besserer Früherkennung, gezielteren Tests und einer früheren Diagnose, und hier sei der KI-basierte Ansatz ein erster wichtiger Schritt.

Frühere Diagnosen weisen auf künftiges Risiko hin

Im Rahmen der Studie entwickelten die Wissenschaftler mehrere Versionen des KI-Modells und trainierten es mit den Gesundheitsdaten von mehr als 6 Millionen Patientinnen und Patienten aus dem dänischen Gesundheitssystem über einen Zeitraum von 41 Jahren.

Von diesen erkrankten 23.985 im Laufe der Zeit an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Während des Trainings erkannte der Deep-Learning-Algorithmus Muster, die auf ein zukünftiges Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs hindeuteten, und zwar auf der Grundlage der Krankheitsgeschichte, das heißt, ob bei einem Patienten bestimmte Krankheiten in einer bestimmten Reihenfolge im Laufe der Zeit auftraten.

Beispielsweise wiesen Diagnosen wie Gallensteine, Anämie, Typ-2-Diabetes und andere gesundheitliche Probleme mit dem Magen-Darm-Trakt auf ein erhöhtes Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs innerhalb von drei Jahren nach der Auswertung hin.

Etwas weniger überraschend war, dass eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse innerhalb eines noch kürzeren Zeitraums von zwei Jahren ein starker Vorhersagefaktor (Prädiktor) für ein zukünftiges Pankreaskarzinom war.

Die Forscher betonen, dass keine dieser Diagnosen allein als Indikator oder Ursache für zukünftigen Bauchspeicheldrüsenkrebs angesehen werden sollte. Das Muster und die Reihenfolge, in der sie im Laufe der Zeit auftreten, bieten jedoch Anhaltspunkte für ein KI-gestütztes Überwachungsmodell und könnten Ärzte dazu veranlassen, Personen mit erhöhtem Risiko genauer zu überwachen oder entsprechende Tests durchzuführen.

  • Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Medicine veröffentlicht.

Bauchspeicheldrüsenkrebs: Wie hoch ist die Lebenserwartung?

Die Lebenserwartung bei Bauchspeicheldrüsenkrebs (Pankreaskarzinom) hängt in erster Linie von der jeweiligen Tumorart ab. Die meisten Bauchspeicheldrüsenkrebsarten sind so genannte Adenokarzinome. Diese Tumoren wachsen schnell und breiten sich über das Blut und die Lymphe rasch in andere Körperregionen aus. Werden sie nicht rechtzeitig erkannt, ist das mit einer ungünstigen Prognose verbunden.

Die deutlich selteneren endokrinen Formen des Bauchspeicheldrüsenkrebses wachsen dagegen meist langsamer und weniger aggressiv. Die Prognose ist daher oft günstiger, die Betroffenen überleben auch bei später Diagnose oft noch mehrere Jahre.

Je früher das Pankreaskarzinom erkannt und behandelt wird, desto besser sind die Heilungschancen. Nur eine Operation bietet die Chance auf Heilung. Allerdings kann der Tumor nur bei etwa 15 Prozent der Betroffenen vollständig entfernt werden.

Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt dann bei bis zu 40 Prozent. Ist der Tumor nicht operabel, ist die Lebenserwartung gering: Im Durchschnitt sterben die Betroffenen drei bis vier Monate nach der Diagnose.

Bauchspeicheldrüsenkrebs hat eine der niedrigsten Überlebensraten aller Krebsarten. Entsprechend ungünstig ist die relative 5-Jahres-Überlebensrate. Sie liegt in Deutschland bei 10 Prozent für beide Geschlechter.

Quellen

vgt

Quelle: YouTube / Städtisches Klinikum Karlsruhe


 Dieser Beitrag wurde auf der Grundlage wissenschaftlicher Fachliteratur und fundierter empirischer Studien und Quellen erstellt und in einem mehrstufigen Prozess überprüft.

Wichtiger Hinweis: Der Beitrag beschäftigt sich mit einem medizinischen Thema, einem Gesundheitsthema oder einem oder mehreren Krankheitsbildern. Dieser Artikel dient nicht der Selbst-Diagnose und ersetzt auch keine Diagnose durch einen Arzt oder Facharzt. Bitte lesen und beachten Sie hier auch den Hinweis zu Gesundheitsthemen!

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