Der Stand der Serotoninforschung in Meta-Studien

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Dirk de Pol, aktualisiert am 23. Juli 2022, Lesezeit: 4 Minuten

Der Direktor des wichtigsten US-amerikanischen Zentrums für Depressionen, Srijan Sen, M.D., Ph.D., ist besorgt über die Auswirkungen einer neuen Studie über die Rolle von Serotonin bei Depressionen, die derzeit viel Aufmerksamkeit erregt.

Ist die Theorie vom chemischen Ungleichgewicht Stand der Depressionsforschung?

Sen weist darauf hin, dass Experten für psychische Gesundheit keineswegs glauben, dass ein einfaches „chemisches Ungleichgewicht“ die Hauptursache für Depressionen ist.

Serotonin ist einer der wichtigsten chemischen Stoffe im Gehirn, die als Neurotransmitter bezeichnet werden und den Gehirnzellen helfen, miteinander zu kommunizieren, indem sie sich mit den Rezeptoren auf den äußeren Oberflächen der Zellen verbinden.

Die neue Studie, die viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, betrachtet eine Reihe älterer Studien über Serotonin und versucht, durch die Kombination der Informationen aus diesen Studien Schlussfolgerungen zu ziehen.

In der Studie wurden keine neuen Experimente durchgeführt oder gar frühere Studien in einer Meta-Analyse zusammengefasst. Stattdessen führten die Forscher eine „übergreifende Überprüfung“ einiger, aber nicht aller Meta-Analysen zum Thema Serotonin durch.

Allerdings wurde eine weitere derartige „Studie von Studien“ über Serotonin und Depressionen nur eine Woche vor der in den Nachrichten erwähnten Studie veröffentlicht. Sie kam zu dem Schluss, dass Variationen des Serotonin-Transporter-Gens in Kombination mit belastenden Erfahrungen im Leben eines Menschen eine Schlüsselrolle beim Depressionsrisiko spielen. Aber diese Studie hat nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit erhalten.

Mit anderen Worten, so Sen, die genaue Rolle von Serotonin ist wissenschaftlich noch lange nicht geklärt.

Ein Blick in die Zukunft

Sen und seine Kollegen hoffen, dass neuere Studien, bei denen moderne Instrumente zum Einsatz kommen, die es den Wissenschaftlern ermöglichen, weitaus mehr Informationen von weitaus mehr Patienten zu untersuchen als bei diesen älteren Studien, den Fortschritt bei der Behandlung von Depressionen beschleunigen werden.

„Wir verfügen heute über viel bessere Instrumente, um die Wirkung von Neurotransmittern und die Veränderung neuronaler Schaltkreise im Gehirn direkter zu untersuchen als vor 20 bis 30 Jahren, als viele der in der Übersichtsstudie behandelten Primärstudien durchgeführt wurden“, erklärt er. „Außerdem können wir heute Informationen über viele Studienebenen und viele Patienten auf eine Weise kombinieren, die früher nicht möglich war.“

Sen und seine Kollegen arbeiten zum Beispiel daran, herauszufinden, wie verschiedene Kombinationen genetischer Unterschiede in Verbindung mit Lebensereignissen und dem aktuellen Lebensstil, einschließlich des Schlafverhaltens, das Depressionsrisiko oder die Reaktion auf eine Behandlung beeinflussen.

Durch die Untersuchung von Menschen, die unter starkem Stress und wechselnden Zeitplänen leben erfahren sie mehr darüber, wie diese Faktoren zusammenwirken.

„Die Grundlagenforschung ist von entscheidender Bedeutung, um neue Angriffspunkte zu finden und zu verstehen, was im Gehirn passiert, wenn wir depressiv oder ängstlich werden, und kann schließlich zur Entwicklung neuer Behandlungen führen, die besser und bei mehr Patienten wirken“, sagt Sen. „Aber wir müssen die genauen molekularen Mechanismen nicht kennen, um auf die Daten aus klinischen Studien zu reagieren, die die positiven Auswirkungen von Maßnahmen wie besserem Schlaf, kognitiver Verhaltenstherapie oder SSRIs zeigen.“

Die Zukunft der Depressionsbehandlung könnte viel stärker auf den einzelnen Patienten zugeschnitten sein, so wie es auch bei der Krebsbehandlung der Fall ist.

Quellen

The serotonin theory of depression: a systematic umbrella review of the evidence. IN: Nature (2022)
As science searches for answers on depression, what should patients do today? IN: Eurekalert (2022)
Time moderates the interplay between 5-HTTLPR and stress on depression risk: gene x environment interaction as a dynamic process. IN: Nature (2022)

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