ÜBERSICHT
Beschleunigter Alterungsprozess
Die Verfasser der Studie untersuchten die Beziehung zwischen der typischen Alterung des Gehirns und derjenigen, die bei Menschen mit Diabetes Typ 2 zu beobachten ist.
Dabei stellten sie fest, dass Diabetes Typ 2 einem ähnlichen Muster der Neurodegeneration folgt wie der Alterungsprozess, der jedoch schneller fortschreitet. Daraus ergibt sich die wichtige Erkenntnis, dass auch die typische Hirnalterung Veränderungen in der Glukoseregulierung des Gehirns durch Insυlin widerspiegeln kann.
Strukturelle Hirnschäden
Die Forschungsergebnisse der Wissenschaftler deuten außerdem darauf hin, dass zu dem Zeitpunkt, an dem Diabetes Typ 2 erstmals diagnostiziert wird, bereits erhebliche strukturelle Schäden im Gehirn vorhanden sein können.
Es werden daher dringend empfindliche Methoden benötigt, um diabetesbedingte Veränderungen des Gehirns zu erkennen.
Zwar gibt es bereits deutliche Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Diabetes Typ 2 und einer Verschlechterung der kognitiven Leistungsfähigkeit, doch nur wenige Patientinnen und Patienten werden derzeit im Rahmen ihrer klinischen Betreuung einer umfassenden kognitiven Untersuchung unterzogen.
Eine Unterscheidung zwischen der normalen Hirnalterung, die im mittleren Lebensalter beginnt, und der durch Diabetes verursachten oder beschleunigten Alterung des Gehirns kann schwierig sein.
Bisher gibt es keine wissenschaftlichen Studien, in denen die neurologischen Veränderungen bei gesunden Menschen im Laufe ihres Lebens direkt mit den Veränderungen verglichen wurden, die bei Menschen gleichen Alters mit Diabetes auftreten.
Laut Botond Antal, von der Stony Brook University konzentrieren sich routinemäßige klinische Untersuchungen zur Diagnose von Diabetes in der Regel auf den Blutzucker, den Insυlinspiegel und den prozentualen Anteil der Körpermasse.
Die neurologischen Auswirkungen von Diabetes Typ 2 können sich jedoch viele Jahre, bevor sie durch herkömmliche Verfahren erkannt werden, bemerkbar machen, so dass die betroffenen Patientinnen und Patienten zu dem Zeitpunkt, an dem Diabetes Typ 2 durch herkömmliche Tests diagnostiziert wird, bereits irreversible Gehirnschäden erlitten haben können, erklärt Botond Antal.
Um herauszufinden, wie sich Diabetes über den normalen Alterungsprozess hinaus auf das Gehirn auswirkt, nutzte das Forscherteam den größten verfügbaren Datensatz zu Struktur und Funktion des Gehirns über die gesamte menschliche Lebensspanne: UK Biobank-Daten von 20.000 Menschen im Alter von 50 bis 80 Jahren.
Dieser Datenbestand umfasst Gehirnscans und Hirnfunktionsmessungen und enthält Daten sowohl von gesunden Personen als auch von Personen mit einer Diabetes-Typ-2-Diagnose.
Auf dieser Grundlage ermittelte das Forscherteam, welche Veränderungen des Gehirns und der kognitiven Fähigkeiten spezifisch für Diabetes und nicht nur für das Altern sind, und bestätigte diese Ergebnisse durch einen Vergleich mit einer Meta-Analyse von fast 100 anderen Studien.
Veränderungen des Arbeitsgedächtnis
Die Auswertung der Daten ergab, dass sowohl das Altern als auch Diabetes Typ 2 zu Veränderungen der Leitungsfunktionen, wie Arbeitsgedächtnis, Lernen und flexibles Denken, sowie zu Veränderungen der Verarbeitungsgeschwindigkeit des Gehirns führen.
Im Vergleich zu gleichaltrigen Menschen ohne Diabetes nahmen die exekutiven Funktionen bei Menschen mit Diabetes jedoch über die altersbedingten Effekte hinaus um weitere 13 Prozent ab, und ihre Verarbeitungsgeschwindigkeit verringerte sich um weitere 7 Prozent.
Die Meta-Analyse weiterer Studien bestätigte dieses Forschungsergebnis ebenfalls: Menschen mit Diabetes Typ 2 hatten durchweg eine deutlich geringere kognitive Leistungsfähigkeit als gesunde Personen im gleichen Alter und mit ähnlichem Bildungsstand.
Die Wissenschaftler verglichen auch die Gehirnstruktur und -aktivität von Menschen mit und ohne Diabetes anhand von MRT-Scans. Dabei stellten sie eine Abnahme der grauen Hirnsubstanz mit zunehmendem Alter fest, vor allem in einer Region des ventralen Striatums, das für die ausführenden Funktionen des Gehirns entscheidend ist.
Bei Menschen mit Diabetes war die Abnahme der grauen Substanz über die typischen altersbedingten Effekte hinaus sogar noch ausgeprägter – eine weitere Abnahme der grauen Substanz um 6,2 Prozent im ventralen Striatum, aber auch ein Verlust an grauer Substanz in anderen Regionen, verglichen mit dem normalen Alterungsprozess.
Die Ergebnisse deuten insgesamt darauf hin, dass sich die Muster der durch Diabetes Typ 2 bedingten Neurodegeneration stark mit denen des normalen Alterns überschneiden, dass die Neurodegeneration jedoch beschleunigt ist.
Diese Auswirkungen auf die Gehirnfunktion waren außerdem umso gravierender, je länger die Diabeteserkrankung anhielt. Das Fortschreiten des Diabetes war sogar mit einer 26 Prozent schnelleren Alterung des Gehirns verbunden.
Eingeschränkte Energieverfügbarkeit
Aus den Ergebnissen der vorliegenden Studie geht hervor, dass Diabetes Typ-2 und sein Fortschreiten mit einer beschleunigten Alterung des Gehirns einhergehen, die möglicherweise auf eine eingeschränkte Energieverfügbarkeit zurückzuführen ist, die zu erheblichen Veränderungen der Gehirnstruktur und -funktion führt, fasst die Lilianne Mujica-Parodi, von der Stony Brook University die Forschungsresultate zusammen.
Die Ergebnisse der Untersuchung wurden in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift eLife veröffentlicht.
Quellen
Stony Brook University / Botond Antal et al, Type 2 diabetes mellitus accelerates brain aging and cognitive decline: Complementary findings from UK Biobank and meta-analyses, eLife (2022). DOI: 10.7554/eLife.73138
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Werden Typ-2-Diabetes-Patientinnen und Patienten falsch behandelt?
Quelle: ZS Verlag
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