Primäre Ovarialinsuffizienz – Ursachen, Symptome und Behandlung

Krankheiten und Krankheitsbilder, Schwangerschaft und Kinderwunsch

M.A. Dirk de Pol, Veröffentlicht am: 19.07.2023, Lesezeit: 9 Minuten

Die primäre Ovarialinsuffizienz, auch vorzeitiger Versiegen der Eierstöcke genannt, ist eine Erkrankung, bei der die Eierstöcke der Frau vor dem 40. Lebensjahr ihre Funktion einstellen. Dies hat gravierende Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit und verschiedene gesundheitliche Folgen. Studien zeigen, dass Frauen mit primärer Ovarialinsuffizienz eine Wahrscheinlichkeit von 5-10% haben, auf natürliche Weise, das heißt ohne medizinische Unterstützung, schwanger zu werden. Jedoch führt die primäre Ovarialinsuffizienz nicht zu einem erhöhten Risiko für Komplikationen während der Schwangerschaft. Im Folgenden werden die Ursachen, Symptome, Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten der primären Ovarialinsuffizienz erläutert.

Definition und Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit

Die Eierstöcke haben zwei Hauptaufgaben: die Reifung von Eizellen für die Fortpflanzung und die Produktion der weiblichen Geschlechtshormone, einschließlich Progesteron und Östrogen. Diese Hormone spielen eine zentrale Rolle bei der Fortpflanzung, der Regulierung des Menstruationszyklus und beeinflussen viele andere Prozesse im Körper einer Frau. Hypothalamus und Hypophyse steuern die Funktion und Produktion der Eierstöcke, indem sie Gonadoliberin (GnRH) und zwei Gonadotropine, luteinisierendes Hormon (LH) und follikelstimulierendes Hormon (FSH), verwenden. Wenn auf einer dieser drei Ebenen, sei es auf Ebene des Hypothalamus, der Hypophyse oder der Eierstöcke, ein Problem auftritt, kommt es zu einer Störung der Eierstockfunktion, was als Ovarialinsuffizienz bekannt ist. Je nachdem, auf welcher Ebene die Störung auftritt, gibt es verschiedene Formen der Ovarialinsuffizienz, die auf unterschiedlichen Ursachen beruhen.

Das Hauptanzeichen einer Ovarialinsuffizienz ist ein unregelmäßiger Menstruationszyklus, der bis zum Ausbleiben der Menstruation führen kann, und eine reduzierte Fruchtbarkeit, die bis zur Unfruchtbarkeit führen kann. Abhängig von der Form und Ursache der Ovarialinsuffizienz können weitere Symptome auftreten. Zur Diagnose einer Ovarialinsuffizienz werden Gespräche, körperliche Untersuchungen, Bluttests, bildgebende Verfahren und/oder eine genetische Analyse herangezogen. Die Behandlung hängt von der spezifischen Form und Ursache der Ovarialinsuffizienz ab und beinhaltet insbesondere die Ergänzung der fehlenden weiblichen Geschlechtshormone.

Bei der primären Ovarialinsuffizienz (POI) kommt es zum Funktionsverlust der Eierstöcke mit verminderter Östrogen- und eingeschränkter Eiproduktion vor dem 40. Lebensjahr [1]. Die Folge ist eine verfrühte Menopause. Da die Eierstockfunktion und damit die Fruchtbarkeit deutlich vor dem üblichen Alter nachlässt, sind spontane Schwangerschaften unwahrscheinlich [2]. Die primäre Ovarialinsuffizienz gehört zu den häufigsten Ursachen für eine eingeschränkte Fruchtbarkeit bei jüngeren Frauen [3].

Ursachen und Risikofaktoren

Es gibt mehrere Ursachen, die zur primären Ovarialinsuffizienz führen können. Zum einen kann es vorkommen, dass die Eierstöcke während der Schwangerschaftsentwicklung unvollständig ausgebildet werden und somit keine Eizellen enthalten. Eine weitere Ursache könnte sein, dass der Eizellenvorrat in den Eierstöcken vor dem 40. Lebensjahr vollständig aufgebraucht ist oder die Eierstöcke vor diesem Alter chirurgisch entfernt werden. Zudem könnte eine fehlerhafte Funktion der Eierstöcke vorliegen, die sich in einer unzureichenden Hormonproduktion oder im Versagen der regelmäßigen Reifung vorhandener Eizellen äußert. In all diesen Szenarien können die Eierstöcke ihre Funktionen, nämlich die Reifung von Eizellen für die Fortpflanzung und die Produktion der weiblichen Geschlechtshormone Östrogen und Progesteron, nicht mehr erfüllen.

Es besteht auch die Möglichkeit, dass eine primäre Ovarialinsuffizienz im Kontext verschiedener angeborener genetischer Störungen auftritt. Bei diesen sind anstelle von funktionsfähigen Eizellen nur bindegewebige Leisten, sogenannte Streak-Gonaden, in den Eierstöcken vorhanden. Solche Zustände werden als Gonadendysgenesie bezeichnet. Beispiele für derartige angeborene Erkrankungen sind das Turner-Syndrom, die reine XX-Gonadendysgenesie und das Swyer-Syndrom [16].

Hier ein Überblick über die verschiedenen Ursachen, die die primäre Ovarialinsuffizienz haben kann:

  • Genetische Faktoren: Etwa 20-25% der Fälle haben eine genetische Ursache wie das Fragile-X-Syndrom oder Veränderungen der X-Chromosomen [4].
  • Autoimmunerkrankungen: Bei 30-40% der Betroffenen wird eine Autoimmunreaktion gegen die Eierstöcke vermutet [1].
  • Infektionen: Zum Beispiel eine Virusinfektion wie Mumps oder Zytomegalie [5].
  • Stoffwechselerkrankungen: Etwa Morbus Addison oder eine Schilddrüsenunterfunktion [6].
  • Medikamente: Zum Beispiel eine Chemotherapie kann die Eierstöcke schädigen [7].
  • Operationen: Entfernung von Eierstockgewebe kann die Funktion beeinträchtigen [8].
  • Toxine: Nikotinabusus erhöht das Risiko für eine POI [9].
  • Strahlentherapie im Beckenbereich [10].
  • Idopathisch: Bei 10-20% finden sich keine Hinweise auf mögliche Ursachen [4].

Häufigkeit

Bei etwa ein bis zwei Prozent aller Frauen tritt eine primäre Ovarialinsuffizienz auf, die durch eine vorzeitige Erschöpfung der Eizellen in den Eierstöcken und damit durch einen vorzeitigen Übergang von der fruchtbaren in die unfruchtbare Lebensphase vor dem 40. Lebensjahr gekennzeichnet ist. Bis zum 20 Lebensjahr ist etwa eine von 10.000 Frauen betroffen, mit 30 Jahren etwa eine von 1.000 und mit 40 Jahren etwa eine von 100 Frauen. Die Häufigkeit der sekundären Ovarialinsuffizienz bei Frauen wird durch die Häufigkeit der Grunderkrankung bestimmt [16].

Symptome der primären Ovarialinsuffizienz

Oftmals zeigt sich eine Ovarialinsuffizienz durch einen unregelmäßigen Menstruationszyklus. In milden Fällen kommt es zu einer Gelbkörperschwäche, bei der trotz Eisprung unzureichend Progesteron produziert wird, was zu Schmierblutungen und verminderte Fruchtbarkeit führt. Stärker ausgeprägt fehlt der Eisprung gänzlich (Anovulation), wodurch Unfruchtbarkeit entsteht, die psychische Belastungen verursachen kann. Die schwerste Form ist die Amenorrhoe, bei der die Menstruation ausbleibt und die Produktion von Östrogen stoppt, was zu Östrogenmangel und typischen Wechseljahrsbeschwerden führt. Die genauen Symptome hängen von Form und Ursache der Ovarialinsuffizienz ab. Hier die typische Symptome einer primären Ovarialinsuffizienz im Überblick [11]:

  • Unregelmäßige oder ausbleibende Menstruation: Der wichtigste Hinweis ist eine Amenorrhoe vor dem 40. Lebensjahr.
  • Hitzewallungen und Nachtschweiß: Durch den Östrogenmangel kommt es zu vasomotorischen Beschwerden.
  • Verminderte Libido: Die Lustlosigkeit resultiert aus der hormonellen Umstellung.
  • Depressive Verstimmung: Häufig treten psychische Beschwerden wie Niedergeschlagenheit auf.
  • Trockenheit der Scheide: Dies führt zu Beschwerden beim Geschlechtsverkehr.
  • Erschöpfung und verminderte Belastbarkeit.
  • Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit.
  • Knochenschwund: Langfristig erhöht sich das Osteoporose-Risiko.

Diagnostik bei Verdacht auf POI

Wenn bei einer Frau die Menstruation vor dem 40. Lebensjahr ausbleibt oder unregelmäßig wird, oder bei einem Mädchen die Menstruation nicht bis zum 16. Lebensjahr beginnt oder Pubertätszeichen bis zum 14. Lebensjahr fehlen, sollte ein Frauenarzt konsultiert werden. Dieser wird eine umfassende Anamnese durchführen und danach die Patientin gründlich untersuchen. Dabei werden das äußere Erscheinungsbild, die weibliche Brust und die Schambehaarung bewertet und eine gynäkologische Untersuchung durchgeführt. Hier die Untersuchungen, die sich zur Abklärung einer primären Ovarialinsuffizienz empfehlen [3,12]:

  • Gynäkologische Untersuchung mit Ultraschall: Diese dient dem Ausschluss organischer Ursachen.
  • Bestimmung der Hormonwerte: Erniedrigtes Östradiol und erhöhtes FSH weisen auf eine eingeschränkte Eierstockfunktion hin.
  • Chromosomenanalyse: Um genetische Aberrationen festzustellen.
  • Infektions- und Immunstatus: Zur Abklärung einer möglichen Autoimmungenese.
  • Untersuchung der Schilddrüsenfunktion.

Bei unklarer Ursache sollten die Diagnostik wiederholt und die Familienanamnese erhoben werden [4]. Ein genetische Beratung kann sinnvoll sein.

Behandlungsmöglichkeiten bei primärer Ovarialinsuffizienz

Die Behandlung der primären Ovarialinsuffizienz umfasst folgende Aspekte [13]:

  • Hormontherapie: Östrogen und Gestagen ersetzen die körpereigene Produktion und lindern Beschwerden wie Hitzewallungen und Scheidentrockenheit [14].
  • Verbesserung der Fruchtbarkeit: Es können Methoden wie Eizellspende, Adoption oder Leihmutterschaft diskutiert werden. Bei noch gutem Eierstockgewebe kann eine Eierstockgewebentransplantation versucht werden [15].
  • Begleitung psychischer Probleme: Depressivität und Antriebslosigkeit sollten mit psychologischer Beratung angegangen werden.
  • Osteoporoseprophylaxe: Regelmäßige Knochendichtemessungen und gegebenenfalls Medikamente sind wichtig.
  • Gesunder Lebensstil: Sport, ausgewogene Ernährung und Nikotinverzicht unterstützen die Behandlung.

Regelmäßige Kontrolluntersuchungen sind empfehlenswert. Bei Kinderwunsch sollte frühzeitig eine humangenetische Beratung erfolgen. Insgesamt sind die Prognosen für Lebensqualität und Lebenserwartung bei adäquater Therapie gut.

Quellen

  1. Nelson LM. Clinical practice. Primary ovarian insufficiency. N Engl J Med. 2009;360(6):606-14.
  2. Committee on Gynecologic Practice. Committee opinion no. 605: primary ovarian insufficiency in adolescents and young women. Obstet Gynecol. 2014;124(1):193-7.
  3. Rubio-Gozalbo ME, Gubbels CS, Bakker JA, Menheere PP, Wodzig WK, Land JA. Gonadal function in male and female patients with classic galactosemia. Hum Reprod Update. 2010;16(2):177-88.
  4. hereditary ovarian failure. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab. 2000;14(2):183-92.
  5. Forges T, Monnier-Barbarino P, Faure GC, Béné MC. Autoimmunity and antigenic targets in ovarian pathology. Hum Reprod Update. 2004;10(2):163-75.
  6. La Marca A, Sighinolfi G, Radi D, Argento C, Baraldi E, Artenisio AC, Stabile G, Volpe A. Anti-Mullerian hormone (AMH) as a predictive marker in assisted reproductive technology (ART). Hum Reprod Update. 2010;16(2):113-30.
  7. Morgan S, Anderson RA, Gourley C, Wallace WH, Spears N. How do chemotherapeutic agents damage the ovary? Hum Reprod Update. 2012;18(5):525-35.
  8. Oktay K, Oktem O. Ovarian cryopreservation and transplantation for fertility preservation for medical indications: report of an ongoing experience. Fertil Steril. 2010;93(3):762-8.
  9. Practice Committee of the American Society for Reproductive Medicine. Assessment and treatment of women with diminished ovarian reserve: a committee opinion. Fertil Steril. 2020;114(5):954-963.
  10. Larsen EC, Müller J, Rechnitzer C, Schmiegelow K, Andersen AN. Diminished ovarian reserve in female childhood cancer survivors with regular menstrual cycles and basal hormone levels. Hum Reprod. 2003;18(2):417-22.
  11. Nelson LM, Anasti JN, Kimzey LM, Defensor RA, Lipetz KJ, White BJ, Shawker TH, Merino MJ. Development of luteinized graafian follicles in patients with karyotypically normal spontaneous premature ovarian failure. J Clin Endocrinol Metab. 1994;79(5):1470-5.
  12. Conway GS. Premature ovarian failure. Curr Opin Obstet Gynecol. 1997;9(3):202-6.
  13. Nelson LM. Primary ovarian insufficiency. N Engl J Med. 2009;360(6):606-14.
  14. Fauser BC, Diedrich K, Bouchard P, Domínguez F, Matzuk M, Franks S, Hamamah S, Simón C, Devroey P, Ezcurra D, Howles CM. Contemporary genetic technologies and female reproduction. Hum Reprod Update. 2011;17(6):829-47.
  15. Oktay K, Bedoschi G, Berkowitz K, Bronson R, Kashani B, McGovern P, Pal L, Quinn G, et al. Fertility Preservation in Women With Turner Syndrome: A Comprehensive Review and Practical Guidelines. J Pediatr Adolesc Gynecol. 2016;29(6):409-416.
  16. Ovarialinsuffizienz, German Wikipedia, 2023.

Dieser Beitrag wurde auf der Grundlage wissenschaftlicher Fachliteratur und fundierter empirischer Studien und Quellen erstellt und in einem mehrstufigen Prozess überprüft.

Wichtiger Hinweis: Der Beitrag beschäftigt sich mit einem medizinischen Thema, einem Gesundheitsthema oder einem oder mehreren Krankheitsbildern. Dieser Artikel dient nicht der Selbst-Diagnose und ersetzt auch keine Diagnose durch einen Arzt oder Facharzt. Bitte lesen und beachten Sie hier auch den Hinweis zu Gesundheitsthemen!

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