Die primäre Ovarialinsuffizienz, auch vorzeitiger Versiegen der Eierstöcke genannt, ist eine Erkrankung, bei der die Eierstöcke der Frau vor dem 40. Lebensjahr ihre Funktion einstellen. Dies hat gravierende Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit und verschiedene gesundheitliche Folgen. Studien zeigen, dass Frauen mit primärer Ovarialinsuffizienz eine Wahrscheinlichkeit von 5-10% haben, auf natürliche Weise, das heißt ohne medizinische Unterstützung, schwanger zu werden. Jedoch führt die primäre Ovarialinsuffizienz nicht zu einem erhöhten Risiko für Komplikationen während der Schwangerschaft. Im Folgenden werden die Ursachen, Symptome, Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten der primären Ovarialinsuffizienz erläutert.
ÜBERSICHT
Definition und Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit
Die Eierstöcke haben zwei Hauptaufgaben: die Reifung von Eizellen für die Fortpflanzung und die Produktion der weiblichen Geschlechtshormone, einschließlich Progesteron und Östrogen. Diese Hormone spielen eine zentrale Rolle bei der Fortpflanzung, der Regulierung des Menstruationszyklus und beeinflussen viele andere Prozesse im Körper einer Frau. Hypothalamus und Hypophyse steuern die Funktion und Produktion der Eierstöcke, indem sie Gonadoliberin (GnRH) und zwei Gonadotropine, luteinisierendes Hormon (LH) und follikelstimulierendes Hormon (FSH), verwenden. Wenn auf einer dieser drei Ebenen, sei es auf Ebene des Hypothalamus, der Hypophyse oder der Eierstöcke, ein Problem auftritt, kommt es zu einer Störung der Eierstockfunktion, was als Ovarialinsuffizienz bekannt ist. Je nachdem, auf welcher Ebene die Störung auftritt, gibt es verschiedene Formen der Ovarialinsuffizienz, die auf unterschiedlichen Ursachen beruhen.
Das Hauptanzeichen einer Ovarialinsuffizienz ist ein unregelmäßiger Menstruationszyklus, der bis zum Ausbleiben der Menstruation führen kann, und eine reduzierte Fruchtbarkeit, die bis zur Unfruchtbarkeit führen kann. Abhängig von der Form und Ursache der Ovarialinsuffizienz können weitere Symptome auftreten. Zur Diagnose einer Ovarialinsuffizienz werden Gespräche, körperliche Untersuchungen, Bluttests, bildgebende Verfahren und/oder eine genetische Analyse herangezogen. Die Behandlung hängt von der spezifischen Form und Ursache der Ovarialinsuffizienz ab und beinhaltet insbesondere die Ergänzung der fehlenden weiblichen Geschlechtshormone.
Bei der primären Ovarialinsuffizienz (POI) kommt es zum Funktionsverlust der Eierstöcke mit verminderter Östrogen- und eingeschränkter Eiproduktion vor dem 40. Lebensjahr [1]. Die Folge ist eine verfrühte Menopause. Da die Eierstockfunktion und damit die Fruchtbarkeit deutlich vor dem üblichen Alter nachlässt, sind spontane Schwangerschaften unwahrscheinlich [2]. Die primäre Ovarialinsuffizienz gehört zu den häufigsten Ursachen für eine eingeschränkte Fruchtbarkeit bei jüngeren Frauen [3].
Ursachen und Risikofaktoren
Es gibt mehrere Ursachen, die zur primären Ovarialinsuffizienz führen können. Zum einen kann es vorkommen, dass die Eierstöcke während der Schwangerschaftsentwicklung unvollständig ausgebildet werden und somit keine Eizellen enthalten. Eine weitere Ursache könnte sein, dass der Eizellenvorrat in den Eierstöcken vor dem 40. Lebensjahr vollständig aufgebraucht ist oder die Eierstöcke vor diesem Alter chirurgisch entfernt werden. Zudem könnte eine fehlerhafte Funktion der Eierstöcke vorliegen, die sich in einer unzureichenden Hormonproduktion oder im Versagen der regelmäßigen Reifung vorhandener Eizellen äußert. In all diesen Szenarien können die Eierstöcke ihre Funktionen, nämlich die Reifung von Eizellen für die Fortpflanzung und die Produktion der weiblichen Geschlechtshormone Östrogen und Progesteron, nicht mehr erfüllen.
Es besteht auch die Möglichkeit, dass eine primäre Ovarialinsuffizienz im Kontext verschiedener angeborener genetischer Störungen auftritt. Bei diesen sind anstelle von funktionsfähigen Eizellen nur bindegewebige Leisten, sogenannte Streak-Gonaden, in den Eierstöcken vorhanden. Solche Zustände werden als Gonadendysgenesie bezeichnet. Beispiele für derartige angeborene Erkrankungen sind das Turner-Syndrom, die reine XX-Gonadendysgenesie und das Swyer-Syndrom [16].
Hier ein Überblick über die verschiedenen Ursachen, die die primäre Ovarialinsuffizienz haben kann:
- Genetische Faktoren: Etwa 20-25% der Fälle haben eine genetische Ursache wie das Fragile-X-Syndrom oder Veränderungen der X-Chromosomen [4].
- Autoimmunerkrankungen: Bei 30-40% der Betroffenen wird eine Autoimmunreaktion gegen die Eierstöcke vermutet [1].
- Infektionen: Zum Beispiel eine Virusinfektion wie Mumps oder Zytomegalie [5].
- Stoffwechselerkrankungen: Etwa Morbus Addison oder eine Schilddrüsenunterfunktion [6].
- Medikamente: Zum Beispiel eine Chemotherapie kann die Eierstöcke schädigen [7].
- Operationen: Entfernung von Eierstockgewebe kann die Funktion beeinträchtigen [8].
- Toxine: Nikotinabusus erhöht das Risiko für eine POI [9].
- Strahlentherapie im Beckenbereich [10].
- Idopathisch: Bei 10-20% finden sich keine Hinweise auf mögliche Ursachen [4].
Häufigkeit
Bei etwa ein bis zwei Prozent aller Frauen tritt eine primäre Ovarialinsuffizienz auf, die durch eine vorzeitige Erschöpfung der Eizellen in den Eierstöcken und damit durch einen vorzeitigen Übergang von der fruchtbaren in die unfruchtbare Lebensphase vor dem 40. Lebensjahr gekennzeichnet ist. Bis zum 20 Lebensjahr ist etwa eine von 10.000 Frauen betroffen, mit 30 Jahren etwa eine von 1.000 und mit 40 Jahren etwa eine von 100 Frauen. Die Häufigkeit der sekundären Ovarialinsuffizienz bei Frauen wird durch die Häufigkeit der Grunderkrankung bestimmt [16].
Symptome der primären Ovarialinsuffizienz
Oftmals zeigt sich eine Ovarialinsuffizienz durch einen unregelmäßigen Menstruationszyklus. In milden Fällen kommt es zu einer Gelbkörperschwäche, bei der trotz Eisprung unzureichend Progesteron produziert wird, was zu Schmierblutungen und verminderte Fruchtbarkeit führt. Stärker ausgeprägt fehlt der Eisprung gänzlich (Anovulation), wodurch Unfruchtbarkeit entsteht, die psychische Belastungen verursachen kann. Die schwerste Form ist die Amenorrhoe, bei der die Menstruation ausbleibt und die Produktion von Östrogen stoppt, was zu Östrogenmangel und typischen Wechseljahrsbeschwerden führt. Die genauen Symptome hängen von Form und Ursache der Ovarialinsuffizienz ab. Hier die typische Symptome einer primären Ovarialinsuffizienz im Überblick [11]:
- Unregelmäßige oder ausbleibende Menstruation: Der wichtigste Hinweis ist eine Amenorrhoe vor dem 40. Lebensjahr.
- Hitzewallungen und Nachtschweiß: Durch den Östrogenmangel kommt es zu vasomotorischen Beschwerden.
- Verminderte Libido: Die Lustlosigkeit resultiert aus der hormonellen Umstellung.
- Depressive Verstimmung: Häufig treten psychische Beschwerden wie Niedergeschlagenheit auf.
- Trockenheit der Scheide: Dies führt zu Beschwerden beim Geschlechtsverkehr.
- Erschöpfung und verminderte Belastbarkeit.
- Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit.
- Knochenschwund: Langfristig erhöht sich das Osteoporose-Risiko.
Diagnostik bei Verdacht auf POI
Wenn bei einer Frau die Menstruation vor dem 40. Lebensjahr ausbleibt oder unregelmäßig wird, oder bei einem Mädchen die Menstruation nicht bis zum 16. Lebensjahr beginnt oder Pubertätszeichen bis zum 14. Lebensjahr fehlen, sollte ein Frauenarzt konsultiert werden. Dieser wird eine umfassende Anamnese durchführen und danach die Patientin gründlich untersuchen. Dabei werden das äußere Erscheinungsbild, die weibliche Brust und die Schambehaarung bewertet und eine gynäkologische Untersuchung durchgeführt. Hier die Untersuchungen, die sich zur Abklärung einer primären Ovarialinsuffizienz empfehlen [3,12]:
- Gynäkologische Untersuchung mit Ultraschall: Diese dient dem Ausschluss organischer Ursachen.
- Bestimmung der Hormonwerte: Erniedrigtes Östradiol und erhöhtes FSH weisen auf eine eingeschränkte Eierstockfunktion hin.
- Chromosomenanalyse: Um genetische Aberrationen festzustellen.
- Infektions- und Immunstatus: Zur Abklärung einer möglichen Autoimmungenese.
- Untersuchung der Schilddrüsenfunktion.
Bei unklarer Ursache sollten die Diagnostik wiederholt und die Familienanamnese erhoben werden [4]. Ein genetische Beratung kann sinnvoll sein.
Behandlungsmöglichkeiten bei primärer Ovarialinsuffizienz
Die Behandlung der primären Ovarialinsuffizienz umfasst folgende Aspekte [13]:
- Hormontherapie: Östrogen und Gestagen ersetzen die körpereigene Produktion und lindern Beschwerden wie Hitzewallungen und Scheidentrockenheit [14].
- Verbesserung der Fruchtbarkeit: Es können Methoden wie Eizellspende, Adoption oder Leihmutterschaft diskutiert werden. Bei noch gutem Eierstockgewebe kann eine Eierstockgewebentransplantation versucht werden [15].
- Begleitung psychischer Probleme: Depressivität und Antriebslosigkeit sollten mit psychologischer Beratung angegangen werden.
- Osteoporoseprophylaxe: Regelmäßige Knochendichtemessungen und gegebenenfalls Medikamente sind wichtig.
- Gesunder Lebensstil: Sport, ausgewogene Ernährung und Nikotinverzicht unterstützen die Behandlung.
Regelmäßige Kontrolluntersuchungen sind empfehlenswert. Bei Kinderwunsch sollte frühzeitig eine humangenetische Beratung erfolgen. Insgesamt sind die Prognosen für Lebensqualität und Lebenserwartung bei adäquater Therapie gut.
Quellen
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- Ovarialinsuffizienz, German Wikipedia, 2023.
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