Studie: Wie sich Angst und Angststörungen regulieren lassen

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Medizin Doc Redaktion, aktualisiert am 21. Juli 2021, Lesezeit: 3 Minuten

Angst ist eine wichtige Reaktion, die uns vor Gefahren warnt und schützt. Aber wenn die Angstreaktion außer Kontrolle gerät, kann dies zu anhaltenden Ängsten und Angststörungen führen.

In Europa sind etwa 15 Prozent der Bevölkerung von Angststörungen betroffen. Bestehende Therapien bleiben weitgehend unspezifisch oder sind nicht allgemein anwendbar, weil das detaillierte neurobiologische Verständnis dieser Störungen fehlt.

Was bislang bekannt war, ist, dass verschiedene Nervenzellen zusammenwirken, um Furchtreaktionen zu regulieren, indem sie sie entweder verstärken oder unterdrücken. An diesem Prozess sind verschiedene Schaltkreise von Nervenzellen beteiligt.

Es findet demnach eine Art „Tauziehen“ statt, bei dem je nach Kontext ein Hirnschaltkreis die Oberhand gewinnt und den anderen überlagert. Ist dieses System gestört, wenn beispielsweise das Unterdrücken von Angstreaktionen nicht mehr möglich ist, kann dies zu Angststörungen führen.

Neuere wissenschaftliche Forschungsarbeiten konnten nun zeigen, dass bestimmte Gruppen von Neuronen in der Amygdala entscheidend für die Regulation von Angstreaktionen sind.

Die Amygdala ist eine kleine mandelförmige Hirnstruktur in der Mitte des Gehirns, die Informationen über furchterregende Reize empfängt und sie an andere Hirnregionen weiterleitet, um Angstreaktionen zu erzeugen. Dies führt dazu, dass der Körper Stresshormone freisetzt, die Herzfrequenz verändert oder Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsreaktionen auslöst.

Eine Forschergruppe um die Professoren Stephane Ciocchi von der Universität Bern und Andreas Luthi vom Friedrich-Miescher-Institut in Basel hat nun entdeckt, dass die Amygdala bei diesen Prozessen eine viel aktivere Rolle spielt als ursprünglich angenommen: Die zentrale Amygdala ist nicht nur eine „Drehscheibe“ für die Erzeugung von Furchtreaktionen, sondern sie enthält auch neuronale Mikroschaltkreise, die die Unterdrückung von Furchtreaktionen regulieren.

In Tiermodellen konnte gezeigt werden, dass die Hemmung dieser Mikroschaltkreise zu lang anhaltendem Angstverhalten führt. Werden sie jedoch aktiviert, kehrt das Verhalten trotz vorheriger Furchtreaktionen in den Normalzustand zurück. Dies zeigt, dass Neuronen in der zentralen Amygdala hoch adaptiv und essentiell für die Unterdrückung von Angst sind.

Was zu lang anhaltender Angst führte

Die Wissenschaftler untersuchten die Aktivität von Neuronen der zentralen Amygdala bei Mäusen während der Unterdrückung von Furchtreaktionen. Dabei konnten sie verschiedene Zelltypen identifizieren, die das Verhalten der Tiere beeinflussen.

Für ihre Studie nutzten die Forscher mehrere Methoden, unter anderem eine Technik namens Optogenetik, mit der sie die Aktivität einer identifizierten Neuronenpopulation in der zentralen Amygdala, die ein bestimmtes Enzym produziert, mit Lichtimpulsen gezielt abschalten konnten. Dadurch wurde die Unterdrückung von Angstreaktionen beeinträchtigt, woraufhin die Tiere übermäßig ängstlich wurden.

Die Forscher waren überrascht, wie stark der gezielte Eingriff in bestimmte Zelltypen der zentralen Amygdala Furchtreaktionen beeinflusste. Das optogenetische Silencing dieser spezifischen Neuronen hob die Unterdrückung der Angst vollständig auf und provozierte einen Zustand pathologischer Angst, so die Autoren der Studie.

Entwicklung von Therapien gegen Angststörungen

Beim Menschen könnte eine Dysfunktion dieses Systems, einschließlich der beschriebenen mangelnden Plastizität in den Nervenzellen der zentralen Amygdala, zu der beeinträchtigten Unterdrückung von Furcht-Erinnerungen beitragen, die bei Patienten mit Angst- und Trauma-Störungen berichtet wird.

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie wurden in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

(Quellen: Universität Bern / Friedrich-Miescher-Institut / Nature Communications; Whittle, N., Fadok, J., MacPherson, K.P. et al. Central amygdala micro-circuits mediate fear extinction. Nat Commun 12, 4156 (2021). https://doi.org/10.1038/s41467-021-24068-x )

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