Studie: Schmerzlinderung durch die Aktivierung des körpereigenen Schmerzsystems

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Torsten Lorenz, aktualisiert am 12. November 2021, Lesezeit: 4 Minuten

Die meisten Menschen leiden im Laufe ihres Lebens unter Schmerzen. Nach Schätzungen der National Institutes of Health leiden allein in den Vereinigten Staaten 100 Millionen Menschen unter chronischen Schmerzen.

Ungefähr 21 bis 29 Prozent der Patienten, denen zur Behandlung chronischer Schmerzen entsprechende Opioide verschrieben werden, betreiben damit Missbrauch.

Acht bis zwölf Prozent der Menschen, die ein Opioid gegen chronische Schmerzen einnehmen, entwickeln zudem eine Opioidkonsumstörung. Im Jahr 2019 starben in den USA fast 50.000 Menschen an einer Überdosis von Opioiden.

Wirkstoff zur Schmerzlinderung ohne eine Abhängigkeit zu verursachen

In einer Studie konnten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der University of Arizona Health Sciences zeigen, dass eine von ihnen entwickelter Wirkstoff das Schmerzempfinden durch die Regulierung eines biologischen Kanals, der mit Schmerzen in Verbindung steht, verringert und damit der Entwicklung eines sicheren und wirksamen Schmerzmittels ohne Opioide einen entscheidenden Schritt näher gekommen ist.

Die Erforschung von Arzneimitteln ist ein sehr langwieriger Prozess. In ihrem Labor haben Forscher einen grundlegenden Schmerzmechanismus untersucht, einen Weg gefunden, ihn von anderen zu unterscheiden, und einen Wirkstoff gefunden, der das Potenzial für eine neue, nicht-opioide Schmerzbehandlung hat.

Der biologische Mechanismus, der im Mittelpunkt der Forschung steht, ist NaV1.7, ein Natrium-Ionenkanal, der zuvor durch genetische Studien an Menschen mit seltenen Schmerzstörungen mit dem Schmerzempfinden in Verbindung gebracht wurde.

Nervenzellen oder Neuronen verwenden elektrische Ströme, um Signale an das Gehirn und den gesamten Körper zu senden, und Natriumionenkanäle sind für die Fähigkeit einer Zelle, diese elektrischen Ströme zu erzeugen, von entscheidender Bedeutung.

Wenn ein Neuron stimuliert wird, öffnet sich der NaV1.7-Kanal und ermöglicht positiv geladenen Natriumionen, die Zellmembran zu durchqueren und in die zuvor negativ geladene Zelle einzudringen.

Die Veränderung der Ladung in der Zellmembran erzeugt einen elektrischen Strom, der die Erregbarkeit des Neurons erhöht und eine Kette von Ereignissen in Gang setzt, die zu Schmerzen führen.

Da es sich bei NaV1.7 um einen beim Menschen nachgewiesenen Angriffspunkt für Schmerzen handelt, wurde mehrfach versucht, Schmerzen durch die Verwendung von Natrium-Ionenkanal-Hemmern zur Blockierung von NaV1.7 zu stoppen. Keiner war erfolgreich. Die Autoren der vorliegenden Studie verfolgten einen anderen Ansatz – statt NaV1.7 zu blockieren, wollten sie es indirekt regulieren.

Mit Hilfe einer von den Forschern entwickelten Wirkstoff, den sie 194 nannten, gelang es ihnen, die NaV1.7-Aktivierung im Labor mit Nervenzellen von vier verschiedenen Spezies, darunter auch Menschen, zu regulieren. In Tiermodellen konnte 194 die Schmerzen in sechs verschiedenen Schmerzmodellen rückgängig machen.

Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen fanden außerdem heraus, dass der Wirkstoff 194 die Schmerzlinderung auch durch die Aktivierung des körpereigenen, das heißt natürlich vorkommenden, Opioidsystems fördern kann.

Einmal produziert, aktivieren körpereigene Schmerz-Rezeptoren, die physiologische Veränderungen wie Schmerzlinderung bewirken. Der Wirkstoff 194 tat dies, ohne Probleme mit der motorischen Leistungsfähigkeit, depressive Verhaltensweisen oder eine Abhängigkeit zu verursachen.

Schließlich beobachteten die Wissenschaftler einen synergistischen Effekt, als der Wirkstoff 194 mit Morphin und Gabapentin kombiniert wurde.

Für die Forscher is das ein vielversprechendes Zeichen dafür, dass der Wirkstoff 194 auch im Rahmen einer Strategie zur Dosisreduzierung von Schmerzmitteln mit negativen Nebenwirkungen, einschließlich Opioiden, eingesetzt werden könnte, wobei gleichzeitig ein hohes Maß an Schmerzlinderung aufrechterhalten wird.

Die Forschungsarbeit mit dem Titel „Selective targeting of NaV1.7 via inhibition of the CRMP2-Ubc9 interaction reduces pain in rodents“ wurde in dem wissenschaftlichen Fachblatt Science Translational Medicine veröffentlicht.

Quellen: University of Arizona Health Sciences / Science Translational Medicine / Titel der Studie: „Selective targeting of NaV1.7 via inhibition of the CRMP2-Ubc9 interaction reduces pain in rodents“. Science Translational Medicine, 2021; 13 (619) DOI: 10.1126/scitranslmed.abh1314

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