Forschung: Alzheimer wird nicht durch Amyloid-Plaques ausgelöst

Alzheimer-Demenz-Forschung, Gesundheitsnews, Medizin und Forschung, University of Cincinnati

Medizin Doc Redaktion, aktualisiert am 6. Oktober 2022, Lesezeit: 11 Minuten

Was löst Alzheimer aus?

Die genaue Ursache für Alzheimer gilt noch immer als ungeklärt. Forscher in den USA scheinen nun die Ursache für die Alzheimer-Krankheit gefunden zu haben.

Ursache für Alzheimer ist Rückgang eines speziellen Proteins

Wissenschaftler der University of Cincinnati haben eine Forschungsarbeit vorgelegt, die die Hypothese untermauert, dass Alzheimer durch den Rückgang eines bestimmten Proteins ausgelöst wird – im Gegensatz zu einer bisher vorherrschenden Theorie, die kürzlich in Frage gestellt wurde.

Die Forschungsergebnisse der UC Cincinnati unter der Leitung von Dr. Alberto Espay und Dr. Andrea Sturchio entstanden in Zusammenarbeit mit dem Karolinska Institut in Schweden und wurden im Journal of Alzheimer’s Disease veröffentlicht.

Wodurch entstehen Eiweißablagerungen im Gehirn?

Die Studie befasst sich mit einem Protein namens Amyloid-beta. Normalerweise entfaltet das Protein seine Funktionen im Gehirn in einer löslichen, das heißt in Wasser auflösbaren Form, doch manchmal verhärtet es sich zu Klumpen, den so genannten Amyloid-Plaques.

Seit mehr als 100 Jahren wird in der Alzheimer-Forschung angenommen, dass die Ursache für die Entstehung von Alzheimer in der Ablagerung von Amyloid-Plaques im Gehirn liegt.

Die Forscher stellten jedoch die Hypothese auf, dass die Plaques einfach eine Folge des Rückgangs der löslichen Amyloid-Beta-Konzentration im Gehirn sind.

  • Die Konzentration dieses Proteins sinkt, weil sich das normale Protein unter biologischem, metabolischem oder infektiösem Stress in die abnormen Amyloid-Plaques verwandelt.

Paradoxerweise bilden sich im Alter bei sehr vielen Menschen Plaques im Gehirn, aber nur bei einem sehr geringen Teil von ihnen entwickelt sich eine Demenz, sagt Espay, Professor für Neurologie am UC College of Medicine.

Bei der Entwicklung von Biomarkern und therapeutischen Strategien stehen die Plaques jedoch nach wie vor im Mittelpunkt der Forschung.

Viele Forschungsstudien und klinische Versuche haben im Laufe der Jahre darauf abgezielt, die Amyloid-Plaques im Gehirn zu reduzieren.

Einige haben die Plaques verringert, aber bis zur Veröffentlichung einer positiven klinischen Studienergebnisse von Biogen und Eisai hat keine das Fortschreiten von Alzheimer verlangsamt.

Noch wichtiger ist, dass sich in einigen klinischen Studien, in denen der Gehalt an löslichem Amyloid-beta gesenkt wurde, die klinischen Ergebnisse der Patienten verschlechterten, was die Hypothese der Forscher untermauert.

Nach Ansicht von Sturchio, Erstautor des Forschungsberichts und Lehrbeauftragter am College of Medicine der UC, ist dies wahrscheinlich der beste Beweis dafür, dass die Reduzierung der löslichen Form des Proteins toxisch sein kann. In diesem Fall hat sich die Situation der Patienten verschlechtert.

Amyloid-beta vs. Amyloid-Plaques

In früheren Forschungsprojekten stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fest, dass Menschen mit hohen Konzentrationen von löslichem Amyloid-Beta unabhängig von der Bildung von Plaques im Gehirn kognitiv normal waren, während Menschen mit einem niedrigen Spiegel des Proteins eher kognitive Beeinträchtigungen aufwiesen.

In der jetzigen Studie haben die Forscher die Amyloid-Beta-Konzentration bei einer Untergruppe von Patientinnen und Patienten mit Mutationen untersucht, die eine Überexpression von Amyloid-Plaques im Gehirn vorhersagen, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie an Alzheimer erkranken.

Laut Sturchio wurde die Hypothese der Amyloid-Toxizität durch diese Mutationen mit am stärksten unterstützt. Diese Bevölkerungsgruppe wurde untersucht, weil sie die wichtigsten Daten liefert.

Auch in dieser Patientengruppe, von der man annimmt, dass sie das höchste Alzheimer-Risiko hat, fanden die Forscher ähnliche Ergebnisse wie in der Studie an der Allgemeinbevölkerung.

Es stellte sich heraus, dass Personen, die bereits Plaques in ihrem Gehirn angesammelt haben und die in der Lage sind, hohe Mengen an löslichem Amyloid-Beta zu produzieren, ein geringeres Risiko haben, innerhalb von drei Jahren an Demenz zu erkranken, so Espay.

Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass Menschen mit einem Ausgangswert an löslichem Amyloid-Beta im Gehirn von über 270 Pikogramm pro Milliliter kognitiv normal bleiben können, unabhängig von der Menge an Amyloid-Plaques in ihrem Gehirn.

Löst man sich von den Vorurteilen, die wir schon zu lange haben, ist es nur allzu logisch, dass ein neurodegenerativer Prozess durch etwas verursacht wird, das wir verlieren, nämlich Amyloid-Beta, und nicht durch etwas, das wir gewinnen, nämlich Amyloid-Plaques, so Espay.

Degeneration ist ein Prozess des Verlustes, und der Verlust selbst wiegt schwerer.

Neuer therapeutischer Behandlungsansatz für Alzheimer

Nach Aussage von Sturchio soll nun untersucht werden, ob die Erhöhung der Menge an löslichem Amyloid-beta im Gehirn eine nützliche therapeutische Behandlung für Alzheimer-Patienten darstellt.

Nach Espays Einschätzung muss dabei sichergestellt werden, dass sich die erhöhten Mengen des Proteins im Gehirn nicht in Amyloid-Plaques umwandeln, da die lösliche Version des Proteins für die normale Funktion des Gehirns benötigt wird, um Wirkung zu zeigen.

Die Forscher sind der Ansicht, dass eine ähnliche Hypothese über die Ursachen der Neurodegeneration auch auf andere Krankheiten wie Parkinson und die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit angewandt werden kann, an denen ebenfalls geforscht wird.

Bei Morbus Parkinson kann sich zum Beispiel ein normales lösliches Protein namens Alpha-Synuclein im Gehirn zu einer Ablagerung verhärten, die Lewy-Körperchen genannt wird.

Die Forscherinnen und Forscher stellen die Hypothese auf, dass die Parkinson-Krankheit nicht durch die Ansammlung von Lewy-Körpern im Gehirn verursacht wird, sondern durch einen Rückgang des normalen, löslichen Alpha-Synucleins.

Die Forscher sind der Auffassung, dass bei allen degenerativen Erkrankungen der Verlust normaler Proteine bedeutsamer ist als der messbare Anteil an abnormalen Proteinen.

Unter dem Strich ist es ein Verlust und kein Gewinn an Proteinen, da das Gehirn mit dem Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung weiter schrumpft, so Espay.

Für Espay kommen für die Zukunft zwei Ansätze zur Behandlung neurodegenerativer Krankheiten in Frage: Rettungsmedizin und Präzisionsmedizin.

Bei der Rettungsmedizin wird untersucht, ob die Erhöhung des Spiegels von Schlüsselproteinen wie Amyloid-beta zu besseren Behandlungsergebnissen führt.

Das kürzlich als wirksam bewertete Anti-Amyloid-Medikament gegen Alzheimer bewirkt etwas, was die meisten anderen Anti-Amyloid-Therapien nicht tun: Es reduziert nicht nur das Amyloid, es erhöht auch die Konzentration des löslichen Amyloid-Beta, so Espay.

Im Gegensatz dazu würde die Präzisionsmedizin der Frage nachgehen, was die Ursache für den Rückgang des löslichen Amyloid-beta ist, sei es ein Virus, ein Toxin, ein Nanopartikel oder ein biologischer oder genetischer Prozess.

Wenn die Ursache von Alzheimer angegangen wird, muss die Konzentration des Proteins nicht erhöht werden, weil es keine Umwandlung von löslichen, normalen Proteinen in Amyloid-Plaques gibt.

Viren können Alzheimer auslösen

Wissenschaftler der Tufts University und der University of Oxford haben mit Hilfe eines menschlichen Gewebekultur-Modells, das das Gehirn nachahmt, gezeigt, dass das Varizella-Zoster-Virus (VZV) das Herpes-simplex-Virus (HSV), ein weit verbreitetes Virus, aktivieren kann, um die frühen Stadien der Alzheimer-Krankheit auszulösen beziehungsweise in Gang zu setzen.

  • Das Varizella-Zoster-Virus (VZV) ist häufig des Auslöser für Windpocken und Gürtelrose.

Das HSV-1 – eine der Hauptvarianten des Virus – schlummert normalerweise in den Neuronen des Gehirns, aber wenn es aktiviert wird, führt es zur Anhäufung von Tau- und Amyloid-Beta-Proteinen und zum Verlust der neuronalen Funktion – Merkmale, die bei Alzheimer-Patienten auftreten.

Die Resultate deuten auf einen möglichen Weg zu Alzheimer hin, der durch eine Varizella-Zoster-Virus-Infektion verursacht wird, die Entzündungsauslöser hervorruft, die das HSV im Gehirn aktivieren, so Dana Cairns, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Biomedizintechnik der Tufts University.

Obwohl es einen Zusammenhang zwischen Varizella-Zoster-Virus-Infektion und der Aktivierung von des Herpes-simplex-Virus-1 gibt, ist es möglich, dass auch andere entzündliche Prozesse im Gehirn Herpes-simplex-Virus-1 wecken und zu Alzheimer führen können.

  • Nach Schätzungen der WHO haben sich 3,7 Milliarden Menschen unter 50 Jahren mit HSV-1 infiziert – dem Virus, das Herpes im Bereich der Mundhöhle verursacht. In den meisten Fällen ist das Virus symptomlos und schlummert in den Nervenzellen.

Sobald es aktiviert wird, kann es Entzündungen in den Nerven und der Haut verursachen, die zu schmerzhaften offenen Wunden und Blasen führen. Die meisten Virusträger – und das ist laut CDC jeder zweite Amerikaner – haben nur sehr leichte bis gar keine Symptome, bevor das Virus in den Ruhezustand übergeht.

Das Varizella-Zoster-Virus ist ebenfalls sehr verbreitet: Etwa 95 Prozent der Menschen infizieren sich, bevor sie 20 Jahre alt sind. Viele dieser Fälle zeigen sich in Form von Windpocken. Das Varizella-Zoster-Virus, eine Form des Herpesvirus, kann auch im Körper verbleiben und sich in den Nervenzellen festsetzen, bevor es in den Ruhemodus übergeht.

Zu einem späteren Zeitpunkt kann das Varizella-Zoster-Virus reaktiviert werden und eine Gürtelrose verursachen, eine Krankheit, die durch Blasen und Knötchen in der Haut gekennzeichnet ist, die sich in einem bandförmigen Muster bilden und über Wochen oder sogar Monate hinweg sehr schmerzhaft sein können. Jeder dritte Mensch erkrankt im Laufe seines Lebens an einer Gürtelrose.

Einen Zusammenhang zwischen Herpes-simplex-Viren Typ-1 und der Alzheimer-Krankheit gibt es nur, wenn HSV-1 reaktiviert wurde und Wunden, Blasen und andere schmerzhafte Entzündungen verursacht.

Um den Zusammenhang zwischen den Viren und der Alzheimer-Krankheit besser zu verstehen, haben die Tufts-Forscherinnen und -Forscher eine gehirnähnliche Umgebung in kleinen, 6 Millimeter breiten, donutförmigen Schwämmen aus Seidenprotein und Kollagen nachgebildet.

In den Schwämmen siedelten die Wissenschaftler neuronale Stammzellen an, die wachsen und zu funktionsfähigen Neuronen werden, die in der Lage sind, in einem Netzwerk Signale aneinander weiterzuleiten, so wie es im Gehirn geschieht. Einige dieser Stammzellen bilden auch Gliazellen, die typischerweise im Gehirn zu finden sind und dazu beitragen, die Neuronen am Leben und funktionsfähig zu halten.

Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass Neuronen, die im Hirngewebe gezüchtet wurden, zwar mit Varizella-Zoster-Virus infiziert werden können, dass dies allein aber nicht zur Bildung der charakteristischen Alzheimer-Proteine Tau und Beta-Amyloid führt – den Bestandteilen des Fasergewirrs und der Plaques, die sich im Gehirn von Alzheimer-Patienten bilden – und dass die Neuronen weiterhin normal funktionieren.

Hatten die Neuronen jedoch bereits ruhendes HSV-1 in sich getragen, führte die Varizella-Zoster-Virus-Exposition zu einer Reaktivierung des HSV und zu einem dramatischen Anstieg der Tau- und Beta-Amyloid-Proteine, und die neuronalen Signale verlangsamten sich.

Es handelt sich um einen doppelten Schlag zweier Viren, die sehr häufig vorkommen und normalerweise harmlos sind, aber die Laborstudien deuten darauf hin, dass sie Probleme verursachen könnten, wenn eine erneute Exposition mit Varizella-Zoster-Virus das schlafende HSV-1 aufweckt, so Cairns von der Tufts University.

Es besteht immer noch die Möglichkeit, dass andere Infektionen und andere Wege der Ursache und Wirkung zur Alzheimer-Krankheit führen könnten, und Risikofaktoren wie Schädeltrauma, Fettleibigkeit oder Alkoholkonsum legen nahe, dass sie sich beim Wiederauftreten von Herpes-simplex-Viren im Gehirn überschneiden könnten.

Bei den mit Varizella-Zoster-Virus infizierten Proben stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fest, dass sie vermehrt Zytokine produzierten – Proteine, die häufig an der Auslösung einer Entzündungsreaktion beteiligt sind.

David Kaplan von der Tufts University merkte an, dass Varizella-Zoster-Viren in vielen klinischen Fällen dafür bekannt ist, Entzündungen im Gehirn auszulösen, was möglicherweise zu einer Aktivierung des ruhenden HSV und einer verstärkten Entzündung führen könnte.

Sich wiederholende Aktivierungsphasen von HSV-1 können zu weiteren Entzündungen im Gehirn, zur Bildung von Plaques und zur Akkumulation von neuronalen und kognitiven Schäden führen.

Ein Impfstoff gegen Varizella-Zoster-Virus – zur Vorbeugung von Windpocken und Gürtelrose – senkt nachweislich das Demenzrisiko erheblich. Es ist denkbar, dass der Impfstoff dazu beiträgt, den Kreislauf aus viraler Reaktivierung, Entzündung und neuronaler Schädigung zu stoppen.

Die Studie wurde im Journal of Alzheimer’s Disease veröffentlicht.

Quellen

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Ist Zucker ein möglicher Auslöser für Parkinson oder Alzheimer?

Quelle: Youtube/SWR Marktcheck


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Wichtiger Hinweis: Der Beitrag beschäftigt sich mit einem medizinischen Thema, einem Gesundheitsthema oder einem oder mehreren Krankheitsbildern. Dieser Artikel dient nicht der Selbst-Diagnose und ersetzt auch keine Diagnose durch einen Arzt oder Facharzt. Bitte lesen und beachten Sie hier auch den Hinweis zu Gesundheitsthemen! y39329

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