M.A. Dirk de Pol, aktualisiert am 8. Oktober 2025, Lesezeit: 8 Minuten

Soziale Medien, die Corona-Pandemie und Zukunftsängste wie Klimakrise befeuern eine globale Krise der jugendlichen psychischen Gesundheit, mit Depressionen und Ängsten bei rund 31 % der Teens (Metaanalysen zeigen Verdopplung durch Lockdowns und Anstiege seit 2010 via Plattformen), besonders bei Mädchen und vulnerablen Gruppen – ein Weckruf für Regulierung, Prävention und gesellschaftlichen Wandel, der keine medizinische Beratung ersetzt.

Wie soziale Medien, Pandemie und Zukunftsängste eine globale Krise der psychischen Gesundheit befeuern

Die Zahlen sind erschreckend, doch sie überraschen kaum noch jemanden, der mit jungen Menschen arbeitet. Etwa jeder dritte Jugendliche weltweit leidet heute unter depressiven Symptomen oder Angststörungen. Was vor zwanzig Jahren noch die Ausnahme war, ist zur beunruhigenden Normalität geworden. Eine ganze Generation wächst heran, für die psychische Belastung nicht mehr die Ausnahme, sondern der Alltag ist.Generation unter Druck

Eine umfassende kanadische Metaanalyse, die Daten von über 1,3 Millionen Jugendlichen aus 191 Studien weltweit zusammenführte, zeigt das Ausmaß der Krise: Die Prävalenz von Depression und Angst liegt jeweils bei rund 31 Prozent – mit steigender Tendenz über die vergangenen zwei Jahrzehnte. Besonders alarmierend: Mädchen sind deutlich stärker betroffen, und die Symptome treten heute früher auf als je zuvor.

Die Pandemie als Brandbeschleuniger

Die Corona-Pandemie hat eine bereits angespannte Situation dramatisch verschärft. Systematische Übersichtsarbeiten dokumentieren eine Verdopplung der Prävalenzraten: Lagen die Werte für Depressionen vor 2020 bei etwa 12 bis 20 Prozent, schnellten sie während der Lockdowns auf teils über 30 Prozent hoch. In Deutschland stiegen die Krankenhausaufenthalte wegen psychischer Störungen bei Jugendlichen bereits seit 2011 kontinuierlich an – die Pandemie gab dieser Entwicklung einen zusätzlichen, verheerenden Schub.

Doch wer die Krise allein der Pandemie zuschreibt, übersieht die tieferliegenden Ursachen. Die Global Burden of Disease Study 2021 belegt, dass die Zunahme depressiver Störungen bei Jugendlichen bereits zwischen 1990 und 2021 signifikant war – besonders ausgeprägt in der Altersgruppe der 10- bis 14-Jährigen. Die Pandemie war nicht der Anfang, sondern der Höhepunkt einer längeren Entwicklung.

Soziale Medien: Fluch oder Segen?

Im Zentrum der Debatte steht zunehmend die Rolle sozialer Medien. Die erste Generation, die mit Smartphones aufgewachsen ist, zeigt die deutlichsten Anstiege bei Angst- und Depressionssymptomen. Der zeitliche Zusammenhang ist frappierend: Etwa ab 2010, als Instagram, Snapchat und andere Plattformen zum festen Bestandteil jugendlicher Lebenswelten wurden, beschleunigte sich der Anstieg psychischer Belastungen merklich.

Die Mechanismen sind vielfältig und oft subtil. Der permanente Vergleich mit idealisierten Darstellungen anderer Leben, die Angst, etwas zu verpassen (FOMO – Fear of Missing Out), Cybermobbing und die fragmentierte Aufmerksamkeit durch endloses Scrollen – all das hinterlässt Spuren. Studien zeigen, dass exzessive Nutzung sozialer Medien mit erhöhten Depressions- und Angstwerten korreliert, insbesondere wenn sie passiv erfolgt und mit sozialem Vergleich einhergeht.Generation unter Druck

Mädchen scheinen besonders vulnerabel zu sein. Sie nutzen soziale Medien häufiger und intensiver, sind stärker von Körperbildproblemen betroffen und erleben mehr Cybermobbing. Die Plattformen selbst verstärken durch ihre Algorithmen oft genau jene Inhalte, die Unsicherheit und negative Emotionen hervorrufen – weil diese mehr Engagement erzeugen.

Doch das Bild ist nicht einseitig. Soziale Medien können auch Ressource sein: Sie ermöglichen Vernetzung, Austausch mit Gleichgesinnten und Zugang zu Hilfsangeboten. Für LGBTQ+-Jugendliche oder junge Menschen in isolierten Regionen können Online-Communities lebensrettend sein. Die Frage ist nicht, ob soziale Medien per se schädlich sind, sondern wie sie genutzt werden – und wie wenig Regulierung und Schutz aktuell existieren.

Eine Welt voller Krisen

Soziale Medien sind jedoch nur ein Teil eines größeren Puzzles. Jugendliche heute wachsen in einer Zeit auf, die von multiplen Krisen geprägt ist: Klimawandel, Kriege, wirtschaftliche Unsicherheit, politische Polarisierung. Longitudinalstudien belegen, dass diese globalen Stressoren direkt mit der Zunahme von Angst- und Depressionssymptomen korrelieren.

Besonders ausgeprägt ist die Klimaangst: Junge Menschen fühlen sich von der Erwachsenenwelt im Stich gelassen, sehen eine bedrohte Zukunft und erleben gleichzeitig ihre eigene Machtlosigkeit. Hinzu kommt ein enormer Leistungsdruck – in der Schule, bei der Berufswahl, in der Selbstoptimierung. Die gesellschaftliche Botschaft ist klar: Du musst erfolgreich sein, dich ständig verbessern, keine Schwäche zeigen. Scheitern ist keine Option.

Diese toxische Mischung aus externem Druck und internalisierter Erwartungshaltung trifft auf eine Generation, die durch soziale Medien gelernt hat, sich permanent zu präsentieren und zu bewerten. Das Ergebnis: Erschöpfung, Resignation, innere Leere – die klassischen Symptome von Depression und Angst.

Die vergessenen Risikogruppen

Während die Gesamtzahlen alarmieren, dürfen bestimmte Gruppen nicht übersehen werden. Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien, mit Migrationshintergrund oder aus ländlichen Regionen haben oft noch schlechteren Zugang zu psychologischer Versorgung. Die Global Burden of Disease Study zeigt zwar, dass der Anstieg in wohlhabenden Ländern besonders stark ist, doch auch in ärmeren Regionen steigen die Werte – bei deutlich schlechterer Versorgungslage. Generation unter Druck

Jüngere Jugendliche, insbesondere zwischen 10 und 14 Jahren, sind eine weitere vulnerable Gruppe. Symptome, die früher erst in der späten Adoleszenz auftraten, zeigen sich heute bereits in der Pubertät. Diese frühe Manifestation ist besonders besorgniserregend, da sie die gesamte weitere Entwicklung prägen kann.

Was jetzt getan werden muss

Die Datenlage ist eindeutig: Wir stehen vor einer globalen Krise der jugendlichen psychischen Gesundheit. Doch Erkenntnis allein reicht nicht. Es braucht entschlossenes Handeln auf mehreren Ebenen.

Schulen müssen zu Orten werden, an denen psychische Gesundheit ernst genommen wird – mit niedrigschwelligen Beratungsangeboten, geschultem Personal und einer Kultur, die über Gefühle sprechen erlaubt. Das Gesundheitssystem muss ausgebaut werden: mehr Therapieplätze, kürzere Wartezeiten, diversere Angebote. Präventionsprogramme müssen frühzeitig ansetzen und auch digitale Kompetenzen vermitteln.

Die Politik ist gefordert, soziale Medien zu regulieren. Transparente Algorithmen, Altersbeschränkungen, die tatsächlich durchgesetzt werden, und wirksame Mechanismen gegen Cybermobbing sind längst überfällig. Plattformen müssen in die Verantwortung genommen werden für die Auswirkungen ihrer Geschäftsmodelle auf junge Menschen.

Doch auch die Gesellschaft insgesamt muss umdenken. Wir brauchen eine Kultur, die Verletzlichkeit zulässt, die Scheitern als Teil des Lebens akzeptiert, die weniger von Leistung und mehr von Menschlichkeit spricht. Die Generation, die gerade heranwächst, braucht nicht mehr Druck, sondern mehr Unterstützung. Nicht mehr Anforderungen, sondern mehr Raum zum Atmen.

Ein Weckruf

Die Zahlen sind ein Weckruf. Sie zeigen, dass wir dabei sind, eine ganze Generation zu verlieren – nicht an eine äußere Bedrohung, sondern an die innere Überforderung durch eine Welt, die zu schnell, zu laut, zu fordernd geworden ist.

Es liegt an uns allen – Eltern, Lehrkräften, Politikerinnen, Plattformbetreiberinnen, der Gesellschaft insgesamt –, darauf zu reagieren. Die Studien liefern die Evidenz. Jetzt braucht es den Willen zur Veränderung. Bevor aus einer stillen Krise eine verlorene Generation wird.

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit einem medizinischen Thema, einem Gesundheitsthema oder einem oder mehreren Krankheitsbildern. Dieser Artikel dient nicht der Selbst-Diagnose und ersetzt auch keine Diagnose durch einen Arzt oder Facharzt. Bitte lesen und beachten Sie hier auch den Hinweis zu Gesundheitsthemen!

Literaturverzeichnis

  1. Racine, N., et al. (2021). Global Prevalence of Depressive and Anxiety Symptoms in Children and Adolescents During COVID-19: A Meta-analysis. JAMA Pediatrics, 175(11), 1142-1150.
  2. GBD 2021 Mental Disorders Collaborators (2024). Global trends in depressive disorder prevalence and disability-adjusted life years among adolescents from 1990 to 2021: Findings from the Global Burden of Disease Study 2021. Lancet Psychiatry.
  3. Meherali, S., et al. (2021). Mental Health of Children and Adolescents Amidst COVID-19 and Past Pandemics: A Rapid Systematic Review. International Journal of Environmental Research and Public Health, 18(7), 3432.
  4. Twenge, J. M., et al. (2019). Age, Period, and Cohort Trends in Mood Disorder Indicators and Suicide-Related Outcomes in a Nationally Representative Dataset, 2005-2017. Journal of Abnormal Psychology, 128(3), 185-199.
  5. Haidt, J., & Allen, N. (2020). Scrutinizing the effects of digital technology on mental health. Nature, 578(7794), 226-227.
  6. Thorisdottir, I. E., et al. (2019). Active and Passive Social Media Use and Symptoms of Anxiety and Depressed Mood Among Icelandic Adolescents. Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking, 22(8), 535-542.
  7. Kelly, Y., et al. (2018). Social Media Use and Adolescent Mental Health: Findings From the UK Millennium Cohort Study. EClinicalMedicine, 6, 59-68.
  8. Ravens-Sieberer, U., et al. (2022). Child and Adolescent Mental Health During the COVID-19 Pandemic: Results of the Three-Wave Longitudinal COPSY Study. Journal of Adolescent Health, 71(5), 570-578.
  9. Hickie, I. B., et al. (2019). Right care, first time: a highly personalised and measurement-based care model to manage youth mental health. Medical Journal of Australia, 211(S9), S3-S46.
  10. Pew Research Center (2018). Teens, Social Media & Technology 2018. Washington, DC: Pew Research Center.
  11. Orben, A., & Przybylski, A. K. (2019). The association between adolescent well-being and digital technology use. Nature Human Behaviour, 3(2), 173-182.
  12. Przybylski, A. K., & Weinstein, N. (2017). A Large-Scale Test of the Goldilocks Hypothesis: Quantifying the Relations Between Digital-Screen Use and the Mental Well-Being of Adolescents. Psychological Science, 28(2), 204-215.
  13. Keles, B., McCrae, N., & Grealish, A. (2020). A systematic review: the influence of social media on depression, anxiety and psychological distress in adolescents. International Journal of Adolescence and Youth, 25(1), 79-93.
  14. Weinstein, E. (2018). The social media see-saw: Positive and negative influences on adolescents‘ affective well-being. New Media & Society, 20(10), 3597-3623.
  15. Nesi, J., Choukas-Bradley, S., & Prinstein, M. J. (2018). Transformation of Adolescent Peer Relations in the Social Media Context: Part 1—A Theoretical Framework and Application to Dyadic Peer Relationships. Clinical Child and Family Psychology Review, 21(3), 267-294.

Hormontherapie Menopause Vorteile und Balance

US-Experten loben Hormontherapie in der Menopause: Ärzte fordern Balance

Erfahren Sie, warum US-Experten die Vorteile der Hormontherapie in der Menopause hervorheben und Balance fordern....

Mikroglia in der Amygdala bei Angstmodulation

Gehirn-Immunzellen steuern Angst

Neue Erkenntnisse zeigen, dass Gehirn-Immunzellen Angst steuern und neue Therapieansätze für Angststörungen ermöglichen....

Orangensaft verändert Genexpression in Blutzellen

Tägliches Glas Orangensaft optimiert Gene für Herz und Stoffwechsel

Ein tägliches Glas Orangensaft optimiert Gene für Herz und Stoffwechsel. Erfahre mehr über die Studienergebnisse....

Selbsthypnose gegen Hitzewallungen

Selbsthypnose lindert Hitzewallungen um über 50 Prozent

Erfahren Sie, wie Selbsthypnose Hitzewallungen um über 50 Prozent reduziert und Frauen ein besseres Lebensgefühl zurückgibt....

Neuroprotektive Mikroglia mit CD28 bei Alzheimer

Forscher entdecken schützende Hirnzellen gegen Alzheimer

Forscher entdecken schützende Hirnzellen gegen Alzheimer. Neue Erkenntnisse zu Mikroglia und deren Rolle im Gedächtnisverlust....