Der Tod: Das ungeliebte Multitool des Lebens

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M.A. Dirk de Pol, aktualisiert am 29. Dezember 2024, Lesezeit: 6 Minuten

Ach, der Tod – dieser notorische Spielverderber, der früher oder später auf jeder Party des Lebens auftaucht, das Licht ausknipst und uns daran erinnert, dass wir nicht ewig leben können. Klingt unangenehm? Sicherlich. Aber bevor wir ihn zu sehr verteufeln, sollten wir genauer hinschauen: Der Tod ist nicht nur eine lästige Begleiterscheinung des Lebens, sondern eigentlich der heimliche Hausmeister, der im Hintergrund den Laden am Laufen hält. Ohne ihn käme die Evolution zum Stillstand, Ökosysteme würden zusammenbrechen und der Genpool wäre so dynamisch wie ein abgestandener Tümpel.

Tatsächlich ist der Tod ein wahres Multitalent. Er sorgt dafür, dass weniger fitte Organismen Platz machen für die nächste Generation. Er bereinigt den Genpool mit einer Effizienz, die jeden Algorithmus vor Neid erblassen ließe. Und auf molekularer Ebene? Hier beweist der Tod seine Präzision: Mit der Apoptose, dem programmierten Zelltod, verhindert er, dass unser Körper zu einer chaotischen Baustelle degeneriert. Kurz: Der Tod ist nicht nur das Ende, sondern auch der Anfang von allem. Ohne ihn gäbe es keine Religion, Kultur, Technik, Smartphones oder künstliche Intelligenz.

Natürlich ist diese nüchterne Erkenntnis in einer Lebenskrise nicht besonders tröstlich. Aber es lohnt sich, den Tod etwas nüchterner zu betrachten – und ihm ein wenig Respekt zu zollen. Schließlich ist er der Grund, warum wir hier sind. Aber gehen wir das Thema etwas ernster an.

Der Tod ist nicht nur ein biologisches Ende, sondern ein wesentlicher Motor des Lebens, der Innovation und Anpassung in der Evolution ermöglicht und Ökosysteme im Gleichgewicht hält.

Der Tod ist also nicht nur eine Grenze, sondern auch ein Kern des Lebens, um den sich alles dreht. Ohne ihn verlöre das Leben seine Dringlichkeit, seine Tragik – und damit seinen Sinn. Erst im Bewusstsein unserer Sterblichkeit erkennen wir den Wert des Lebens. Ohne den Tod gäbe es kein „Jetzt“, keine Entscheidungen, keine Motivation, etwas zu Ende zu bringen. Alles ließe sich beliebig aufschieben. Ein unendliches Leben würde paradoxerweise zur Bedeutungslosigkeit führen.

Aber der Tod ist nicht nur eine persönliche Realität. Er ist auch eine kulturelle Kraft. Religionen, Mythen und Künste sind aus dem Versuch entstanden, das Unausweichliche zu verstehen und zu überwinden – sei es durch die Hoffnung auf ein Jenseits oder durch den Traum von der Unsterblichkeit. Im wissenschaftlichen Zeitalter hat der Tod jedoch stark an Bedeutung verloren. Er wird nicht mehr als Übergang in eine andere Existenz gesehen, sondern als bloßer Schalter, der das Leben ausschaltet. Diese Entzauberung des Todes hat zu einer kulturellen, religiösen und moralischen Verarmung geführt. Ohne ein Weiterleben nach dem Tod scheint auch die Verantwortung für das eigene Handeln zu schwinden.

Der Tod ist nicht nur unser Ende, sondern auch eine treibende Kraft in der Geschichte der Menschheit. Unser Streben nach Macht, Ressourcen und Technologie ist letztlich ein Versuch, den Tod zu überwinden – sei es durch medizinischen Fortschritt, durch die Schaffung von Vermächtnissen oder durch den Traum von Unsterblichkeit. Aber dieser Drang hat auch eine dunkle Seite. Im Kampf um diese Ziele zerstören wir die Erde, die Grundlage unseres Lebens. Hier liegt der „Todeskern“ der Menschheit: Unsere eigene Sterblichkeit treibt uns zu einem Verhalten, das unsere Lebensgrundlagen gefährdet.

Ist dieser Todeskern unausweichlich? Oder können wir ihn transformieren? Die Herausforderungen der Gegenwart – Klimawandel, Überbevölkerung, Ressourcenknappheit – zwingen uns, radikale Fragen zu stellen: Müssen wir lernen, mit dem Tod zu leben, oder können wir ihn überwinden? Können wir eine neue, nachhaltige Kultur schaffen, die den Tod akzeptiert, ohne von ihm beherrscht zu werden?

In seinem Essay Learning to Die in the Anthropocene[1] redet der US-Schriftsteller Roy Scranton Klartext. Während seiner Dienstzeit in der Armee, die für ihn im Irak mit dem täglichen Bewusstsein verbunden war, jederzeit getötet werden zu können, hat er gelernt, mit schlechten Nachrichten umzugehen. Was un­sere Zukunft betrifft, ist er zutiefst pessimistisch.

Für Scranton geht es nicht nur um den Anstieg der Meere, sondern auch um sekundäre Effekte des Klimawandels und die Probleme, die mit der menschlichen Überbevölkerung und unserer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zusammenhängen. Was können wir heute tun, um den immer größer werdenden Schaden zu mildern oder sogar aufzuhalten, fragt sich Scranton.

In seinem späteren Essay Raising a Daughter in a Doomed World[2] schreibt er, dass es darum gehe, so vielen Menschen wie möglich das Bewusstsein zu vermitteln, dass unsere kapitalistisch geprägte Zivilisation dem Untergang geweiht ist, denn nur das motiviere uns, Wege zu finden, wie sich unsere de­struktive Zivilisation in etwas anderes verwandelt. Er schreibt: „Je mehr wir versuchen, an einer alten Art, Dinge zu tun, festzuhalten, desto unvorbereiteter werden wir auf den Wandel sein, der kommen wird.“

Für Scranton besteht unsere einzige noch vertretbare freie Wahl darin, für das Überleben der gesamten Menschheit und aller Lebewesen zu arbeiten, auch wenn wir dabei mit großer Wahrscheinlichkeit scheitern werden. Gerade diese Widersprüchlichkeit seines Aufrufs zu einem Kampf, den wir am Ende mit Sicherheit verlieren werden, begründet das Echo, das Scranton ausgelöst hat.

Ja, es geht ihm um einen heilsamen Schock. Denn mit einer Erderwärmung um sechs Grad setzen wir einen unkontrollierbaren Erwärmungsprozess in Gang, der unsere Biosphäre und das menschliche Leben, wie wir es kennen, vollständig auslöschen wird.

Aber haben wir nicht noch Handlungsmöglichkeiten? Wir könnten noch auf Erdwärme, Wind, Sonne und notfalls Atomkraft umsteigen. Wir könnten persönlich viel weniger Fleisch essen und fossile Brennstoffe meiden. Wir bräuchten Pflanzen, die Trockenheit und Hitze besser vertragen. Wir müssten Wald- und Buschlandschaften wiederherstellen und Schutzgebiete in Wäldern und Meeren deutlich ausweiten.

Manche Transhumanisten gehen noch weiter. Sie wollen, dass wir uns freiwillig so verändern, dass wir weniger Erderwärmung verursachen. Gentechnisch erzeugte Fleischallergien und kleinere Körpergrößen, aber auch pharmazeutisch gestärkte Empathie und Altruismus sollen es richten.[3]

Doch das ist nicht die ernüchternde Perspektive, die uns Scran-ton eröffnet: Die Klimakatastrophe lässt sich nicht mehr aufhalten. Unsere Zivilisation wird unweigerlich untergehen, auch wenn unsere Spezies vielleicht in einer biologisch, kulturell oder institutionell anderen Form stark reduziert weiterleben kann.

Scranton versucht eine Antwort auf die Frage zu geben, wie wir mit dem unvermeidlichen Niedergang der Zivilisation, drohenden Völkerwanderungen und Ressourcenknappheit umgehen können, ohne uns vorzeitig selbst zu zerstören.

Seine einfache Antwort lautet: Wir und unsere Kultur sind nicht nur sterblich, sondern bereits tot. Nur dieses antizipatorische, sozusagen täglich kultivierte Bewusstsein des Todes erlaubt es uns, vorausschauend und wachsam genug zu sein, um das Schlimmste so lange wie möglich zu verhindern, unsere verbleibende Lebenszeit zu verlängern und sie dennoch zu genießen.

Wenn wir diesen Ansatz verfolgen, geht es gewissermaßen darum, regelmäßig eine Meditation über den Tod zu praktizieren.

[1] Learning to Die in the Anthropocene: Reflections on the End of Civilization, 2015

[2] In: New York Times, 18. Juli 2018

[3] Liao, M. S., Sandberg, A. & Roache, R. (2012). „Human Engineering and Climate Change“. In: Ethics, Policy & Environment, 15 (2), S. 206-221

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