Alkohol erhöht Demenzrisiko: Neue Studie widerlegt Schutzwirkung

Gesundheitsnews, Medizin und Forschung

M.D. Redaktion, Veröffentlicht am: 25.10.2025, Lesezeit: 7 Minuten

Eine bahnbrechende Studie, veröffentlicht in BMJ Evidence-Based Medicine, zeigt auf Grundlage umfangreicher Datenanalysen, dass jeder Alkoholkonsum – selbst in geringen Mengen – das Demenzrisiko signifikant steigern kann und widerlegt damit eindeutig die langjährige Annahme, dass moderates Trinken einen schützenden Effekt auf die Gehirngesundheit haben könnte.

Neue Erkenntnisse zum Alkohol-Demenz-Zusammenhang

Eine aktuelle Studie, veröffentlicht in BMJ Evidence-Based Medicine, stellt bisherige Annahmen über Alkohol und Demenz infrage. Forscher unter der Leitung von Dr. Anya Topiwala von der Universität Oxford analysierten Daten von über 559.000 Erwachsenen im Alter von 56 bis 72 Jahren. Die Ergebnisse zeigen: Es gibt keinen „sicheren“ Alkoholpegel für die Gehirngesundheit.

Die Studie nutzte zwei große Datensätze: das US-amerikanische Million Veteran Program (MVP) und die UK Biobank. Über einen Beobachtungszeitraum von 4 bis 12 Jahren entwickelten mehr als 14.500 Teilnehmer eine Demenz. Besonders überraschend: Genetische Analysen deuten auf einen linearen Anstieg des Demenzrisikos mit steigendem Alkoholkonsum hin.

Wie die Studie durchgeführt wurde

Beobachtungsanalysen zeigen U-förmigen Zusammenhang

In den Beobachtungsanalysen zeigte sich zunächst ein U-förmiger Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Demenzrisiko:

  • Nichttrinker und starke Trinker (über 40 Getränke pro Woche) wiesen ein höheres Demenzrisiko auf als leichte Trinker (weniger als 7 Getränke pro Woche).
  • Starke Trinker hatten ein 41 % höheres Risiko, während Menschen mit Alkoholabhängigkeit (Alkoholabhängigkeitsstörung, AUD) ein 51 % höheres Risiko zeigten.
  • In der UK Biobank schienen moderate Trinker (7–14 Getränke pro Woche) ein geringeres Risiko zu haben als leichte Trinker.

Dieser U-förmige Zusammenhang deutet zunächst darauf hin, dass moderates Trinken schützend wirken könnte. Doch die Forscher warnen: Dieser Effekt ist trügerisch.

Genetische Analysen widerlegen Schutzwirkung

Die Studie nutzte Mendelianische Randomisierung, eine genetische Methode, die kausale Zusammenhänge untersucht. Sie analysierte genetische Varianten, die mit lebenslangem Alkoholkonsum verbunden sind, bei über 2,4 Millionen Menschen unterschiedlicher Herkunft. Die Ergebnisse:

  • Ein Anstieg des Alkoholkonsums um eine Standardabweichung (z. B. Verdopplung von niedrigem zu moderatem Konsum) erhöht das Demenzrisiko um 15 %.
  • Eine Verdopplung der AUD-Prävalenz führt zu einem 16 % höheren Demenzrisiko.
  • Es gibt keine Hinweise auf eine schützende Wirkung von niedrigem oder moderatem Alkoholkonsum.

Reverse Kausalität erklärt Beobachtungsergebnisse

Die vermeintliche Schutzwirkung moderaten Trinkens ist laut Studie auf „reverse Kausalität“ zurückzuführen. Menschen, die später an Demenz erkranken, reduzieren ihren Alkoholkonsum bereits Jahre vor der Diagnose. Im MVP-Datensatz zeigte sich, dass Trinker, die Demenz entwickelten, ihren Konsum schneller reduzierten als gesunde Kontrollpersonen, insbesondere bei zuvor hohem Konsum.

Warum diese Studie einzigartig ist

Vielfalt in den Daten

Die Studie berücksichtigt verschiedene Bevölkerungsgruppen, darunter europäische, afrikanische und lateinamerikanische Abstammungen. Dies ist ein Fortschritt, da frühere Studien oft nur weiße Bevölkerungsgruppen untersuchten. Die Ergebnisse waren konsistent: AUD erhöhte das Demenzrisiko bei allen Gruppen, etwa um 44 % bei Afrikanern und 58 % bei Lateinamerikanern.

Kombination von Methoden

Die Kombination aus Beobachtungs- und genetischen Analysen macht die Studie besonders robust. Während Beobachtungsdaten durch Verzerrungen wie reverse Kausalität oder sozioökonomische Faktoren beeinflusst werden können, minimieren genetische Analysen solche Störfaktoren. Die Studie untersuchte zudem verschiedene Alkohol-Phänotypen, von der Getränkemenge bis hin zu problematischem Konsum.

Öffentliche Gesundheit: Alkohol reduzieren, Demenz verhindern

Die Ergebnisse haben weitreichende Implikationen für die öffentliche Gesundheit. Die Forscher schätzen, dass eine Halbierung der AUD-Prävalenz die Demenzfälle um bis zu 16 % reduzieren könnte. Angesichts der weltweit über 55 Millionen Demenzkranken (laut Weltgesundheitsorganisation) ist dies ein bedeutender Ansatzpunkt für Präventionsstrategien.

Praktische Tipps zur Reduzierung des Demenzrisikos

  • Alkohol reduzieren: Selbst geringe Mengen können das Demenzrisiko erhöhen. Erwägen Sie, Ihren Konsum zu minimieren oder ganz aufzugeben.
  • Regelmäßige Gesundheitschecks: Früherkennung kognitiver Veränderungen kann helfen, Risikofaktoren wie Alkohol rechtzeitig anzugehen.
  • Gesunder Lebensstil: Kombinieren Sie Alkoholreduktion mit Bewegung, gesunder Ernährung und geistiger Aktivität, um das Gehirn zu schützen.

Grenzen der Studie

Die Studie hat einige Einschränkungen. Demenzdiagnosen aus elektronischen Gesundheitsakten könnten ungenau sein, was die Ergebnisse jedoch eher abschwächen würde. Genetische Analysen spiegeln lebenslangen Alkoholkonsum wider, nicht unbedingt kurzfristige Änderungen. Zudem war die statistische Aussagekraft bei nicht-europäischen Gruppen geringer, was weitere Forschung erfordert.

Ausblick: Demenzprävention neu denken

Die Studie stellt die Idee infrage, dass moderates Trinken gut für das Gehirn ist. Stattdessen unterstreicht sie die Notwendigkeit, Alkohol als ernsthaften Risikofaktor für Demenz zu betrachten. Öffentliche Gesundheitskampagnen sollten sich darauf konzentrieren, den Alkoholkonsum zu reduzieren, insbesondere bei problematischem Trinken.

Wie können Einzelpersonen handeln?

  • Bewusst konsumieren: Wenn Sie trinken, halten Sie Ihren Konsum so niedrig wie möglich. Ein Glas Wein pro Woche ist möglicherweise weniger schädlich als tägliches Trinken.
  • Informieren Sie sich: Sprechen Sie mit Ihrem Arzt über Ihren Alkoholkonsum und dessen Auswirkungen auf die Gehirngesundheit.
  • Alternativen finden: Ersetzen Sie alkoholische Getränke durch alkoholfreie Optionen wie Kräutertees oder Mocktails, um soziale Anlässe zu genießen.

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit einem medizinischen Thema, einem Gesundheitsthema oder einem oder mehreren Krankheitsbildern. Dieser Artikel dient nicht der Selbst-Diagnose und ersetzt auch keine Diagnose durch einen Arzt oder Facharzt. Bitte lesen und beachten Sie hier auch den Hinweis zu Gesundheitsthemen!

Häufig gestellte Fragen (FAQs)

Gibt es einen „sicheren“ Alkoholpegel, der das Demenzrisiko nicht erhöht? Die Studie zeigt, dass selbst geringer Alkoholkonsum das Demenzrisiko erhöhen kann, ohne Hinweise auf eine schützende Wirkung. Genetische Analysen deuten darauf hin, dass es keinen „sicheren“ Schwellenwert gibt, da das Risiko mit steigendem Konsum linear ansteigt. Für die Gehirngesundheit ist Abstinenz oder ein sehr niedriger Konsum (z. B. weniger als ein Getränk pro Woche) wahrscheinlich die sicherste Option.

Warum haben frühere Studien suggeriert, dass moderates Trinken vor Demenz schützt? Frühere Studien waren oft durch reverse Kausalität und Verzerrungen beeinflusst. Menschen in den frühen Stadien einer Demenz reduzieren häufig ihren Alkoholkonsum, was den falschen Eindruck erweckt, dass moderates Trinken schützend wirkt. Zudem wurden in früheren Studien oft „Nichttrinker“ als Vergleichsgruppe verwendet, die ehemalige starke Trinker umfassen können, was die Ergebnisse verzerrt.

Welche Rolle spielen andere Faktoren wie Rauchen oder psychische Erkrankungen im Zusammenhang zwischen Alkohol und Demenz? Faktoren wie Rauchen, sozioökonomischer Status und psychische Erkrankungen wie posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) können das Demenzrisiko beeinflussen. Die Studie kontrollierte diese Faktoren, fand jedoch, dass der Zusammenhang zwischen Alkohol und Demenz bestehen bleibt. Insbesondere bei PTBS war der Zusammenhang mit Alkoholabhängigkeit etwas abgeschwächt, aber immer noch signifikant.

Wie zuverlässig ist die Mendelianische Randomisierung für die Untersuchung des Alkohol-Demenz-Zusammenhangs? Die Mendelianische Randomisierung ist eine robuste Methode, da sie genetische Varianten nutzt, um kausale Zusammenhänge zu untersuchen und Verzerrungen wie reverse Kausalität minimiert. Dennoch basiert sie auf Annahmen, wie der Unabhängigkeit genetischer Varianten von anderen Einflussfaktoren, die nicht vollständig überprüfbar sind. Die Studie verwendete mehrere Sensitivitätsanalysen, um die Robustheit der Ergebnisse zu bestätigen.

Gilt das erhöhte Demenzrisiko für alle Arten von Demenz oder nur für bestimmte Subtypen? Die Studie untersuchte „alle Demenzformen“ (all-cause dementia), nicht nur spezifische Subtypen wie Alzheimer. Dies schließt vaskuläre Demenz, frontotemporale Demenz und andere Formen ein. Weitere Forschung ist nötig, um zu klären, ob Alkohol bestimmte Demenzarten stärker beeinflusst, da die zugrunde liegenden Mechanismen variieren können.

Können Änderungen im Alkoholkonsum im mittleren Lebensalter das Demenzrisiko senken? Die Studie legt nahe, dass eine lebenslange Reduzierung des Alkoholkonsums das Demenzrisiko senken könnte, da genetische Analysen den kumulativen Effekt über die Lebenszeit untersuchen. Eine Reduktion im mittleren Lebensalter, insbesondere bei problematischem Trinken, könnte präventiv wirken. Praktische Schritte wie der Wechsel zu alkoholfreien Getränken oder die Teilnahme an Beratungsprogrammen können hilfreich sein.

Wie unterscheiden sich die Ergebnisse zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen? Die Studie fand ein erhöhtes Demenzrisiko durch Alkoholabhängigkeit bei europäischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Bevölkerungsgruppen. Die Ergebnisse waren konsistent, obwohl die statistische Aussagekraft bei nicht-europäischen Gruppen geringer war, was auf kleinere Stichproben zurückzuführen ist. Weitere Forschung mit größeren nicht-europäischen Kohorten ist erforderlich, um diese Ergebnisse zu bestätigen.

Quelle:

  • Topiwala ALevey DFZhou H, et al., Alcohol use and risk of dementia in diverse populations: evidence from cohort, case–control and Mendelian randomisation approaches. BMJ Evidence-Based Medicine

Hormontherapie Menopause Vorteile und Balance

US-Experten loben Hormontherapie in der Menopause: Ärzte fordern Balance

Erfahren Sie, warum US-Experten die Vorteile der Hormontherapie in der Menopause hervorheben und Balance fordern....

Mikroglia in der Amygdala bei Angstmodulation

Gehirn-Immunzellen steuern Angst

Neue Erkenntnisse zeigen, dass Gehirn-Immunzellen Angst steuern und neue Therapieansätze für Angststörungen ermöglichen....

Orangensaft verändert Genexpression in Blutzellen

Tägliches Glas Orangensaft optimiert Gene für Herz und Stoffwechsel

Ein tägliches Glas Orangensaft optimiert Gene für Herz und Stoffwechsel. Erfahre mehr über die Studienergebnisse....

Selbsthypnose gegen Hitzewallungen

Selbsthypnose lindert Hitzewallungen um über 50 Prozent

Erfahren Sie, wie Selbsthypnose Hitzewallungen um über 50 Prozent reduziert und Frauen ein besseres Lebensgefühl zurückgibt....

Neuroprotektive Mikroglia mit CD28 bei Alzheimer

Forscher entdecken schützende Hirnzellen gegen Alzheimer

Forscher entdecken schützende Hirnzellen gegen Alzheimer. Neue Erkenntnisse zu Mikroglia und deren Rolle im Gedächtnisverlust....