Eine bahnbrechende Studie eines multidisziplinären Forschungsteams hat erstmals nachgewiesen, dass Leberveränderungen im Rahmen der metabolischen dysfunktionsassoziierten steatotischen Lebererkrankung (MASLD) – früher bekannt als nicht-alkoholische Fettlebererkrankung – direkt kognitive und neurologische Beeinträchtigungen hervorrufen können, und dass diese Effekte durch eine ausschließlich auf die Leber gerichtete Therapie vollständig rückgängig gemacht werden können.
ÜBERSICHT
- 1 Der Durchbruch: Ein funktionaler Leber-Hirn-Achse-Mechanismus
- 2 Präzisionstherapie mit siRNA gegen CNNM4
- 3 Was ist MASLD? Eine stille Volkskrankheit nimmt zu
- 4 Wie beeinflusst die Leber das Gehirn?
- 5 Die Zukunft: Lebertherapie als neurologische Behandlung?
- 6 Institutionelle Zusammenarbeit auf höchstem Niveau
- 7 Praktische Tipps: So schützen Sie Ihre Leber – und Ihr Gehirn
- 8 Häufig gestellte Fragen (FAQs)
Der Durchbruch: Ein funktionaler Leber-Hirn-Achse-Mechanismus
Die in der renommierten Fachzeitschrift Science Advances veröffentlichten Ergebnisse belegen die Existenz einer klinisch relevanten und therapeutisch nutzbaren Leber-Hirn-Achse. Tiermodelle mit diätinduzierter metabolischer Lebererkrankung zeigten deutliche Veränderungen im Sozialgedächtnis und in der sensorischen Verarbeitung. Diese gingen einher mit Funktionsstörungen im Hippocampus, einer zentralen Region für Lernen und Gedächtnisbildung.
„Unsere Arbeit zeigt, dass Fettleber und hepatische Entzündung direkt das Gehirn und das Verhalten beeinflussen können. Damit eröffnet sich ein völlig neuer therapeutischer Ansatz: die Behandlung der Leber zur Verbesserung der kognitiven Funktion.“
Dr. Malu Martínez-Chantar, Leiterin des Lebererkrankungslabors am CIC bioGUNE
Präzisionstherapie mit siRNA gegen CNNM4
Das Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Malu Martínez-Chantar und Teresa Cardoso Delgado setzte eine innovative siRNA-basierte Therapie ein. Diese hemmt spezifisch den in der Leber veränderten Magnesiumtransporter CNNM4. Die Wirkstofffreisetzung erfolgte hochpräzise über ein GalNAc-siRNA-Deliverysystem, das ausschließlich Leberzellen anspricht.
Die Therapie führte zur vollständigen Reversibilität der kognitiven Defizite, zur Normalisierung der Hippocampus-Funktion und zur Wiederherstellung des Sozialgedächtnisses sowie der sensorischen Verarbeitung. Die Studie unterstreicht, wie moderne molekularbiologische Technologien gezielt in die Leber-Hirn-Achse eingreifen und neurologische Symptome bei MASLD-Patienten lindern können.
Was ist MASLD? Eine stille Volkskrankheit nimmt zu
Die metabolische dysfunktionsassoziierte steatotische Lebererkrankung (MASLD) betrifft weltweit über 25 % der erwachsenen Bevölkerung. Sie entsteht durch eine Kombination aus Übergewicht, Insulinresistenz, Dyslipidämie und genetischen Faktoren – oft ohne Alkoholkonsum. Früher als „nicht-alkoholische Fettleber“ bezeichnet, wurde der Begriff 2023 auf MASLD umbenannt, um die enge Verbindung zu metabolischen Störungen zu verdeutlichen.
Wie beeinflusst die Leber das Gehirn?
Die Leber-Hirn-Achse funktioniert über mehrere Mechanismen. Entzündungsmediatoren wie Zytokine gelangen über das Blut ins Gehirn und stören neuronale Signalwege. Toxische Metabolite wie Ammoniak und Gallensäuren überschreiten die Blut-Hirn-Schranke. Veränderungen im CNNM4-Transporter führen zu neuronalem Stress. Zudem beeinflusst eine Dysbiose im Darm die Produktion neuroaktiver Substanzen.
Diese Prozesse erklären, warum MASLD-Patienten häufig unter Konzentrationsstörungen, Gedächtnisproblemen und sogar Depressionen leiden.
Die Zukunft: Lebertherapie als neurologische Behandlung?
Die Studie eröffnet völlig neue Perspektiven in der Medizin. Mögliche Anwendungen der CNNM4-siRNA-Therapie umfassen die Prävention kognitiven Abbaus bei MASLD, die Behandlung leichter kognitiver Beeinträchtigungen und die Verbesserung der Lebensqualität bei metabolischem Syndrom.
„Wir zeigen, wie Spitzentechnologien der molekularen Medizin präzise und wirksam in die Gehirnfunktion eingreifen können“, betont Teresa Cardoso Delgado.
Institutionelle Zusammenarbeit auf höchstem Niveau
Die Studie wurde durch eine beispiellose Kooperation ermöglicht. Beteiligt waren das CIC bioGUNE, IIS Biobizkaia, IBiS Sevilla, IIS Biogipuzkoa, IDIVAL Santander und CIMUS Santiago. Fünf CIBER-Programme waren involviert: CIBERer, CIBERSAM, CIBERobn, CIBERfes, CIBERehd.
Praktische Tipps: So schützen Sie Ihre Leber – und Ihr Gehirn
Kleine Veränderungen im Alltag können große Wirkung zeigen. Eine mediterrane Kost mit viel Gemüse, Nüssen und Olivenöl, die Reduktion raffinierter Zucker sowie mindestens 30 g Ballaststoffe täglich unterstützen die Lebergesundheit. Regelmäßiger Verzehr von Kaffee (2–3 Tassen/Tag) kann ebenfalls hilfreich sein.
Bewegung ist essenziell: 150 Minuten moderater Sport pro Woche, kombiniert mit Krafttraining und täglichen Bewegungspausen, wirken sich positiv aus. Regelmäßige Kontrollen wie jährliche Leberwerte beim Hausarzt, Ultraschall bei Risikofaktoren und frühzeitige Ernährungsberatung bei BMI > 27 sind empfehlenswert.
Häufig gestellte Fragen (FAQs)
Was genau ist der Unterschied zwischen MASLD und NAFLD, und warum wurde der Name geändert?
MASLD ist seit 2023 die offizielle Bezeichnung und ersetzt NAFLD, um die zentrale Rolle metabolischer Störungen wie Insulinresistenz und Adipositas zu betonen. Der alte Begriff NAFLD schloss auch seltene nicht-metabolische Formen ein, was zu diagnostischer Unschärfe führte. Die Umbenennung fördert ein besseres Verständnis der systemischen Natur der Erkrankung und erleichtert die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Hepatologie, Endokrinologie und Neurologie.
Kann jeder MASLD-Patient kognitive Probleme bekommen, oder gibt es Schutzfaktoren?
Nicht jeder Patient entwickelt neurologische Symptome – das Risiko korreliert stark mit dem Fibrosegrad (F2–F4), der Dauer der Erkrankung und komorbiden Faktoren wie Typ-2-Diabetes. Schutzfaktoren sind ein niedriger Entzündungsstatus (CRP < 3 mg/l), ein gesundes Darmmikrobiom (hohe Diversität) und regelmäßige körperliche Aktivität. Genetische Varianten im PNPLA3-Gen erhöhen das Risiko, während eine mediterrane Ernährung es signifikant senken kann.
Ist die siRNA-Therapie bereits für Patienten verfügbar, und wie sieht der Weg zur Klinik aus?
Die Therapie befindet sich in der präklinischen Phase mit vielversprechenden Ergebnissen in Mäusen. Phase-I-Studien zur Sicherheit beim Menschen sind für 2026 geplant, gefolgt von Phase II/III bis 2029. Parallel laufen Biomarker-Studien, um Patienten mit hohem CNNM4-Expressionslevel zu identifizieren. Die GalNAc-Plattform ist bereits für andere Lebererkrankungen (z. B. ATTR-Amyloidose) zugelassen, was den Entwicklungsprozess beschleunigt.
Hilft Gewichtsreduktion auch bei den Gehirnsymptomen, und wie viel ist nötig?
Ja – bereits 5 % Gewichtsverlust reduzieren die hepatische Entzündung um bis zu 40 % und verbessern kognitive Tests (z. B. Trail-Making-Test) innerhalb von 3 Monaten. 10 % Verlust normalisieren oft Leberhistologie und Hippocampus-Volumen in der MRT. Der Effekt ist unabhängig von der Methode (Diät, Sport, Medikation), solange die Kalorienreduktion nachhaltig ist. Intermittierendes Fasten (16:8) zeigt besonders starke Effekte auf die Leber-Hirn-Achse.
Kann man die Leber-Hirn-Achse zu Hause testen, oder welche Untersuchungen sind sinnvoll?
Zu Hause sind einfache Screening-Tools wie der MoCA-Test (Montreal Cognitive Assessment) oder der PHQ-9 (Depressionsscreening) möglich, ersetzen aber keine Diagnostik. Goldstandard bleibt die Kombination aus Leberelastographie (FibroScan®), Blutbiomarkern (FIB-4-Score, ELF-Test) und neurologischer Bildgebung (funktionelle MRT). Ein neuer Ansatz ist die Messung von Serum-Neurofilament-Leichtkette (NfL) als Marker neuronaler Schädigung bei MASLD.
Spielt das Darmmikrobiom eine Rolle, und wie kann man es gezielt verbessern?
Das Mikrobiom ist ein zentraler Modulator der Leber-Hirn-Achse. Eine reduzierte Diversität korreliert mit höheren Zytokinspiegeln und kognitiven Defiziten. Gezielte Maßnahmen umfassen präbiotische Ballaststoffe (Inulin, Resistentes Stärke > 15 g/Tag), probiotische Stämme (Lactobacillus rhamnosus GG, Bifidobacterium longum) und die Vermeidung von künstlichen Süßstoffen. Studien zeigen, dass eine 4-wöchige mikrobiomfreundliche Ernährung die CNNM4-Expression in der Leber senken kann.
Sind Kinder von MASLD betroffen, und welche langfristigen Folgen drohen?
Ja – durch die Adipositas-Epidemie steigt die Prävalenz bei Kindern auf 10–20 %. Bereits im Teenageralter zeigen sich erste kognitive Defizite in Exekutivfunktionen. Langfristig erhöht kindliches MASLD das Risiko für frühe Demenz um das 2,5-Fache. Präventiv wirken Schulprogramme mit reduziertem Zuckerkonsum, täglicher Bewegung und regelmäßigen Leber-Screenings ab BMI-Perzentile > 95.
Kann Kaffee wirklich die Leber schützen, und gibt es Unterschiede zwischen Sorten?
Ja – Meta-Analysen belegen eine Risikoreduktion für Leberfibrose um 70 % bei 2–3 Tassen täglich. Der Effekt ist unabhängig von Koffein und stärker bei gefiltertem Kaffee (weniger Diterpene). Espresso zeigt ähnliche Vorteile, Instantkaffee jedoch schwächere. Chlorogensäure und Kahweol sind die wirksamen Substanzen. Auch entkoffeinierter Kaffee wirkt, was die Anwendung bei Schlafstörungen ermöglicht.
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit einem medizinischen Thema, einem Gesundheitsthema oder einem oder mehreren Krankheitsbildern. Dieser Artikel dient nicht der Selbst-Diagnose und ersetzt auch keine Diagnose durch einen Arzt oder Facharzt. Bitte lesen und beachten Sie hier auch den Hinweis zu Gesundheitsthemen!
Quelle:
- Delgado, T. C., et al. (2025). Metabolic dysfunction–associated steatotic liver disease alters brain function and behavior: Insights from liver-targeted siRNA therapy. Science Advances. doi.org/10.1126/sciadv.ady9758






